HP Saphyra
Die Anderswelt

1972 Ulrike war ein fünfzehnjähriges Mädchen, als sie zum ersten Mal ihren Körper verließ. Ein normal entwickelter Teenager, so wie alle Kinder in diesem Alter. Sie hatte halblange kastanienbraune Haare und fühlte sich am wohlsten in ihren Jeans. Am liebsten beschäftigte sie sich mit malen. An diesem Tag lag sie in ihrem Zimmer auf dem Bett und starrte gelangweilt auf einen kleinen schwarzen Fleck an der Decke, einfach nur so. Eigentlich wollte sie mit ihrer Freundin Beate ins Schwimmbad, aber die hatte kurzfristig abgesagt, weil sich überraschend Besuch angesagt hatte und sie zu Hause bleiben mußte. Plötzlich kam es Ulrike so vor, als würde dieser Fleck wie ein Käfer an der Decke entlang krabbeln. Eine Zeitlang beobachtete sie ihn, als sich abrupt eine Schwere und Starre in ihrem Körper ausbreitete, die ihr Angst machte. Sie konnte weder reden, noch sich irgendwie bewegen, nur unkontrolliert lallen. Sie wollte sich den Arm heben, aber es ging nicht. Da gab sie ihren Widerstand auf und ließ sich fallen. Darauf begann ihr Körper von oben bis unten wellenartig zu vibrieren. Sie konnte sich zur Seite drehen, und dann war sie „draußen“. Sie bestand nun aus zwei Körpern, einem physischen und einem psychischen. Ulrike stand da, sah auf sich selbst herab, wie sie da lag. In dem Moment wußte sie, daß sie ihren Körper verlassen hatte. Sie dachte an die Nachbarwohnung, da war sie auch schon drüben, einfach nur durch die Macht ihrer Gedanken. Sie fing an, diese Wohnung zu inspizieren, sah sich alles an. Sie wollte wissen, was diese Nachbarn so alles hatten. Sie dachte noch: das ist ja wirklich unglaublich, man kann überall in Sekundenschnelle sein und eine Tür ist da überhaupt kein Hindernis.

Danach wurde ihr ziemlich mulmig und sie war wieder in ihrem Körper. In diesem Zustand ist die Seele mit dem Körper mit einer silberne Schnur verbunden. Diese ist unendlich dehnbar und reißt nur im Augenblick des Todes, wenn die Zeit abgelaufen ist. Ulrike erzählte ihrer Großmutter von ihrem Erlebnis, die ihr dann erklärte:
“Das nächste Mal mußt du keine Angst haben, wenn die Starre kommt. Laß einfach los.”