Rudolf Raimund Ballabene
(1890-1966) |
Rudolf Raimund Ballabene wurde am 19. Februar 1890 als jüngstes unter zehn Kindern geboren und verlebte die ersten Jahre in seinem altadeligen Elternhaus in Zurndorf, Burgenland, damals noch Ungarn. Sein Vater war Chemiker und leitender Direktor der Dynamit-Nobel-Fabrik in Zurndorf. Der Blick aus allen Fenstern schweifte über Gärten und wogende Kornfelder, denn das Haus lag abseits des Dorfes. Hier während seiner Kindheit entstand die tiefe Liebe und Verwurzelung mit der durchsonnten Weiträumigkeit und den schlichten und dennoch abwechslungsreichen Dorfidyllen des Burgenlandes.
Nachdem sein Vater in die Dynamit-Nobel-Fabrik nach Zamky versetzt wurde, wechselte der damalals Zehnjährige in das k. und k. Stifts-Gymnasium zu St. Paul in Kärnten. 1905 und 1906 besuchte er ein Gymnasium in Preßburg. Aus dem Jahr 1909/1910 finden sich Zeugnisse aus einer Handelsakademie in Prag, wohin seine Eltern mittlerweile abermals übersiedelt waren (8, 12). Sein Vater leitete dort inzwischen eine Fabrik von Dynamit-Nobel, mitten im Wald (9). Friedrich Hölzlin, der Schauspieler, schreibt darüber (1):
,,Es war eine Villa, außerhalb von Prag, am Ufer der Moldau gelegen. Von dieser Villa zog sich eine bewaldete Schlucht etwas hangaufwärts. Diese Schlucht war streng abgesperrt. Waren in ihr doch zweckmäßig versteckt etwa 30 kleine ebenerdige Häuschen, hinter starken Wällen versteckt und wohl gesichert. Strenge Vorsichtsmaßnahmen waren von denen zu beachten. welche sie betraten. um darin zu arbeiten. In dieser Schlucht waren die Anlagen einer staatlichen Dynamit-Fabrik und Rudis Vater war der Direktor.
War dieser Umstand damals schon etwas Seltenes, Ungewöhnliches, so war es die Familie Ballabene nicht minder. Diese Familie war gänzlich nach dem Burgenland ausgerichtet, nahe der ungarischen Grenze. Dieser Vater schon! Ein Jannings hätte ihn in seiner Zeit spielen können. Ein herkulisch gebauter Mann, mit einem hinreißenden Temperament, der von unserer Gesellschaft angeregt mit 60 Jahren gegen Mitternacht einen Krakowiak auf das Parkett des Salons hinstampfte und gar nicht mehr aufhören wollte. Rudis gütige und nun sehr verängstigte Mutter bestürmte mich, ihren Mann zum Aufhören zu bewegen, bevor ihn ein Gehirnschlag zu Boden streckt. Ich glaube, daß ich einmal von dem Schauspieler George in einem Film einen ähnlichen Tanz, in einer ähnlichen Gefahr gesehen habe.
Diese Gewalt- und Kraftnatur Ballabene Vater zeigte mir einen Morgenspaziergang-Stock, welcher aus einer eisenen Röhre verfertigt und beim Handgriff gebogen war. Ich konnte ihn mit Mühe in meiner rechten Hand halten, so schwer war dieser Spazierstock. Vater Ballabene hatte nämlich in die Röhre 5-6 eiserne und gerade passende Kugeln hineingetan, die nun stets beim Vorwerfen des unteren Teiles zum oberen Teil des Stockes auf das Handgelenk zurückrollten, welches sich nun stark belastet fühlte; dann stieß er den Stock wieder auf den Boden und die Kugeln rollten in der Spazierstockröhre wieder abwärts... Das war der Vater von Rudi Ballabene .. .-
,,Was die Natur gibt. wirkt am meisten." So lautet ein alter griechischer Satz eines Philosophen; und das hinreißende Temperament, das oft aus den Bildern seines Sohnes, des Malers Rudolf Ballabene springt, es ist das gleiche wie das seines Vaters. Von der lieben und gütigen Mutter erhielten die Söhne ihren Charme und ihre Liebenswurdigkeit, während die fast ländliche, voll praller Gesundheit strotzende Tochter in ihrer natürlichen Kraft nur dem Vater ähnlich war. Das war die Atmosphäre in der Familie des ehrenwerten, hochachtbaren und doch individuellen Vaters und Dynamitfabrik-Direktors Ballabene."
An der Hochschule in Prag inskribierte R.R.Ballabene Germanistik und Philosophie und wandte sich der Journalistik zu, nur deshalb, weil ihm sein Vater den Malerberuf verboten hatte: ,,Mit der linken Hand willst Du malen. Du Narr" lachte sein Vater, als er, der Linkshänder, den Wunsch äußerte, auf die Kunstakademie zu gehen (9).
Neben dem Studium widmete er sich weiterhin (von 1909 bis 1914) der Schauspielkunst, was vom Vater offenbar eher toleriert wurde als das Malen. 1913 gehörte er zum Ensemble des Königlich Deutschen Landestheaters in Prag, in welchem er kleinere Rollen spielte. Uber diese Zeit schrieb Friedrich Hölzlin (1):
,,Es muß etwa im Jahre 1913 gewesen sein. Prag war die Hauptstadt von Böhmen und gehörte noch zu dem Kaiserreich Österreich-Ungarn. Es wehte ein Hauch von österreichischem Charme und Liebenswürdigkeit durch die hundertjährige Stadt, mitunter gestört durch heftige hussitische Böen, wenn sich tschechischer Nationalismus übersteigerte, und demonstrierende Randalierer deutsche Aufschriften und Firmentafeln herunterrissen, und farbentragende, deutsche Studenten vor dem Deutschen Haus verprügelt, bespuckt und mit Steinen beworfen wurden.
Da trat eines Tages in den Verband des Königlich Deutschen Landestheaters, wie das alte ehrwürdige Gebäude noch hieß, in welchem Mozart seinen Don Juan einst zur Uraufführung brachte, ein hübscher junger Mensch, elegant gekleidet, aus gutem Hause, worauf man damals allerseits viel Wert legte. Er hieß Rudolf Raimund Ballabene. Er spielte zunächst als Anfänger kleinere Rollen, jugendliche Liebhaber und Bonvivants und das Ensemble war erfreut, solch einen netten, gut erzogenen jungen Kollegen zu haben. Von den Teenagern Prags - man sagte damals noch Backfische - wurde er aber genau so verehrt und um Autogramme und Fotos gebeten, wie seine ersten Fachkollegen: Der erste Heldenspieler Rittig, bei dem er auch sprechen lernte, der Bonvivant Huttig, der jugendliche Held Hölzlin, der Charakterschauspieler Dr. Manning, die Komiker Fischer, Hofer und Richard Romansky..."
Das Leben von R.R.Ballabene hätte mit dem Theater seinen weiteren Verlauf genommen, hätte ihn der erste Weltkrieg nicht aus dieser Bahn geworfen. Er kämpfte im österreichischen Heer als Offizier (2) und wurde wegen seiner Tapferkeit mehrfach ausgezeichnet.
Als der Krieg zu Ende war und die Monarchie in Trümmern lag, versuchte Ballabene nach seinen Vorstellungen am Wiederaufbau zu arbeiten und schlug die politische Laufbahn ein. Es war ein kurzes Intermezzo, von dem er sich später distanzierte und zu keinem Gespräch darüber zu bewegen war (3). Zusätzlich zu den Enttäuschungen brachte es ihm nach einem Umsturz: das Gefängnis ein (4), aus dem er erst nach Jahren, auf Fürsprache kirchlicher Autoritäten, frei kam.
Krank und entwurzelt suchte er seine Bekannten in Prag auf. Friedrich Hölzlin war sein bester Freund und blieb es auch durch sein weiteres Leben. Über diese Zeit schrieb Hölzlin (1):
,,Dann sehe ich mich eines Tages in einer Klinik an seinem Krankenbett in einem schönen Zimmer, mit dem Blick durchs Fenster auf einen sonnenbeschienen Park. Rudi, auf dem besten Wege zur Gesundung schilderte mir genau, wie er die Phasen seiner Erkrankung und Genesung erlebnishaft in künstlerische Krafte innerlich umzusetzen versuchte. Ich schlug Rudi vor, gleich nach seiner Entlassung mit dem Lernen der großen Rolle des Prometheus in Goethes gleichnamigen Fragment zu beginnen. Er bewältigte diesen besonders schweren Text sehr bald und ich brachte dieses selten aufgeführte Werk Goethes zu einer beachtlichen Wirkung und zu einem literarischen Erfolg für all die jungen, begabten Mitwirkenden. Rudi Ballabene war in dieser Zeit sichtlich gereift und zum Manne geworden."
Dem Theater widmete sich R.R.Ballabene in jener Zeit in erster Linie aus Liebe hierzu; seinen Lebensunterhalt verdiente er sich als Journalist.
Am 16. Mai 1928 heiratete R.R.Ballabene seine Frau Elvira, geb. Wassermann (5), die sich Zeit seines Lebens als Managerin seiner Bilder betätigte. Nach seiner Heirat widmete er sich ganz der Malerei (10). ,,Ungewöhnlich schnell erwarb er sich einen guten Ruf als Landschafter, als Maler von Prager Motiven und von überaus wirkungsvollen Blumenstücken sowie von Pferdebildern." (13)
Die künstlerische Laufbahn Ballabenes, der sich als Maler in Prag
bereits einen geachteten Namen erworben hatte. geriet während des
zweiten Weltkrieges in Schwierigkeiten. In einem Brief nach Köln (6)
schrieb der Künstler:
,,Das Unheil für uns begann 1939 mit der Einverleibung der Tschechoslowakei als Protektorat, da meine Frau nach der damaligen Gesetzgebung als Halbjüdin (die Mutter war Jüdin) eingestuft wurde. Zunächst allerdings war man bemüht, mich auf die nationalsozialistische Seite zu bringen und bot mir sogar eine Stellung in Berlin an. Selbstverständlich hätte dies nicht nur einen Gesinnungswandel, sondern früher oder später auch die Trennung von meiner Frau bedingt. Durch meine entschiedene Ablehnung klassifizierte ich mich unweigerlich als Gegner des Regimes und wurde schließlich von der Gestapo eingesperrt... Meine Bilder wurden sämtlich von der Gestapo beschlagnahmt, außerdem wurde mir lt. Beleg als Unwürdigem verboten, mich künstlerisch zu betätigen.
Meine Frau war 1939 drei Monate in Gestapohaft; Gründe für die Verhaftung und spätere Entlassung wurden nicht mitgeteilt. Sie wurde sämtlichen Schikanen unterworfen, die für Juden und Mischlinge damals vorgesehen waren, den Zionstern mußte sie allerdings nur bei der Arbeit tragen. Berufstätigkeit konnte sie selbstverständlich von 1939 bis 1945 keine mehr ausüben.
Wir vegetierten also beide bis 1945. Zuletzt wurde noch das Haus in der Smetschkagasse, in dem wir wohnten, ausgebombt und dies vernichtete den Rest unserer Habe. Als wir nach dem Kriegsende mit dem ersten österreichischen Transport Prag verlassen konnten, besaßen wir gerade noch einen Koffer mit ein paar Kleidern; ich litt an der Nachwirkung eines schweren, praktisch nicht geheilten Typhus und wog bei einer Körpergröße von 1.73 m nur mehr 40 kg."
1941 erlitt der Maler den Verlust aller seiner Bilder, gerade zu jenem Zeitpunkt, als diese für eine Ausstellung vorbereitet waren (14).
Am 15.Sept.1943 erfolgte das Verbot der künstlerischen Berufsausübung:
,,Damit ist Ihnen mit sofortiger Wirkung jede berufliche - auch nebenberufliche - Betätigung auf den Gebieten der bildenden Künste untersagt. - Im Auftrag gez. Meister -- Reichskammer der Bildenden Künste -- Berlin." (11)
R.R. Ballabene malte illegal weiter. Ein notdürftiger Lebensunterhalt war dadurch möglich. Wie das abgelaufen ist kann man aus dem Buch von Peter Demetz "Mein Prag, Erinnerungen 1939 bis 1945", Seite 200, entnehmen. (Paul Zsolnay Verlag, Wien, 2007; ISBN 978-3-552-05407-3 )
"Unser hauseigener Künstler war "Signor" Ballabene, der mit seiner jüdischen Frau zusammen arbeitete: Gemeinsam schleppten sie jede Woche die Gemälde zum Laden (er kam eigentlich aus der Vorstadt Karlin und war der Sohn eines Industriellen, der in einem Roman Kafkas unter dem Namen Vallabene auftaucht). Auch die Altprager patrizische Kundschaft stellte sich regelmäßig ein...." Zum Geschäft: ".... den Antiquitätsregalen, die nur deshalb vorne aufgebaut waren, um unsere Kellervorräte zu tarnen."
Unter den von damals noch erhaltenen Dokumenten befindet sich eine Bestätigung über einen Krankenhausaufenthalt vom 24.4.1944 bis 17.5.1944 des Allgemeinen öffentlichen Krankenhauses des Protektorates Böhmen und Mähren auf den Königlichen Weinbergen (Unterteilung für Infektionskrankheiten). Darüber erzählte Elvira Ballabene folgendes: Durch Kontaktpersonen erhielten wir den Hinweis. daß ein Transport nach Auschwitz vorgesehen sei und alle Mischehen auf der Liste stünden. Ein guter Bekannter verschaffte dem Meister einen Krankenhausaufenthalt, durch welchen er als transportunfähig erklärt wurde.
Nach dem Krieg war das Leben in Wien keineswegs einfach, wenngleich auch der Druck der Verfolgung wegfiel. In einem Brief nach Köln (6) schreibt der Künstler:
,,In Wien fand ich zwar die moralische Unterstützung von Herrn Dr. Ludwig Leser. der in der Zwischenkriegszeit Landeshauptmannstellvertreter in meinem Heimatland Burgenland und 1945 eine Zeit lang österreichischer Geschäftsträger in Prag gewesen war, mußte jedoch aus eigener Kraft versuchen, wieder eine Existenz als Maler aufzubauen. Was das in einer Zeit bedeutete, wo jeder auf der Jagd nach einem Stück Brot, nach Kleidung, Hausrat usw. war, aber niemand Interesse für Kunst aufbrachte, läßt sich denken. Inzwischen habe ich als Nachwirkung der erlittenen Unbilden seit mehreren Jahren Krankheitsanfälle auf teils organischer, teils nervlich-seelischer Grundlage, die mich vorzeitig weitgehend arbeitsunfähig machen. Ich mußte eine Vortragstätigkeit, die mir einen bescheidenen, aber sicheren Verdienst brachte, aufgeben und muß mir innerhalb meiner künstlerischen Arbeit Beschränkungen auferlegen, während heute ein freischaffender Maler, um leben zu können, in- und außerhalb seines Ateliers eine ungewöhnliche Aktivität entfalten muß."
Trotz all der Schwierigkeiten gelang es Ballabene durch seine Kunst das Auskommen zu finden; hinzu kam auch Unterstützung von Seiten des Burgenlandes, das seinen Sohn nicht vergaß. Zu den Unterstützungen durch das Burgenland gehörten monatlich zugesandte Förderungen, gelegentliche Bildankäufe und die Möglichkeit durch Vorträge und Filmvorführungen im Rahmen der burgenländischen Kultur- und Fremdenverkehrswerbung zu einem geregelten Einkommen zu gelangen. Daß es sich dabei um keine hohen Beträge handeln konnte, ist insoferne verständlich, als das Burgenland damals das finanzschwächste Bundesland war, das zudem am stärksten unter Kriegsschäden zu leiden hatte. Man kann sich das heute, wenn man durch das Burgenland fährt schwer vorstellen. Gerade der Umstand aber, daß das Land zu jener Zeit entwicklungsmäßig hinter den anderen Bundesländern zurückstand (die Unternehmen hielten sich mit Investitionen in dem russisch besetzten Land zurück) und die finanzielle Not des Malers führten zu einer besonderen Aussage der Kunst: der Maler studierte bei seinen Vortragsreisen, die ihn durch das Land führten, die noch naturbelassenen Schönheiten des Landes und die damals noch unberührte Dörflichkeit und hielt sie in Bildern fest. Das Burgenland machte ihn auf seine Motive aufmerksam, erweckte die unvergessenen Kindheitsträume des Künstlers zu neuem Leben und formte ihn solcherart zum burgenländischen Maler, der er zeitlebens blieb.
Bei allen finanziellen Schwierigkeiten mangelte es dem Maler nicht an Anerkennung. Es erfolgten mehrere Ausstellungen; die erste bereits am 24. März 1946 durch die Gemeinde Wien, in den Ausstellungsräumen in der Dorotheergasse im 1. Bezirk. Eine schriftliche Beurteilung einiger seiner Gemälde durch den damaligen Generaldirektor der staatlichen Kunstsammlungen, Hofrat Dr. Alfred Stix, im Jahre 1949 bereitete dem Künstler viel Freude (16).
Ab Mitte der Fünfzigerjahre waren genügend Sammler im In- und Ausland, um dem Künstler ein bescheidenes aber sorgenfreies Leben zu ermöglichen. Die folgenden Jahre waren reich an Schaffenskraft und die Bilder gewannen zunehmend an Reife.
In den letzten Jahren des Künstlers akkumulierte sich die visionär-halluzinative Schaukraft des Malers, so daß äußere Welt und innere Projektionen sich derart überlagerten, daß der Maler in einer anderen als der von uns gesehenen Welt lebte. Die Bilder bekamen eine transzendent-visionäre Aussage, wobei psychisch-dynamisches Geschehen in den Vordergrund rückt. Die dargestellten Figuren sind nicht mehr seine Mitmenschen, skizziert im Kaffeehaus oder bei seinen Fahrten durch das Burgenland, sondern sind Aspekte seiner Persönlichkeit oder Gestalt gewordene, verselbständigte Erinnerungen. Alles nicht statisch, sondern einer ständigen Veränderung unterworfen, in permanenter Wechselwirkung mit dem Künstler. Für diesen bewegten sich die Figuren als lebendige Gestalten in den Bildern, als wären diese eine Art Spiegel. In langen Zwiegesprächen sah man den Künstler oft davor stehen, lachend, scherzend, wobei er wie eine Art Dolmetscher seiner Frau Ananda und seinem Adoptivsohn Alfred (7) den Charakter und die Wesensart der jeweiligen Gesprächspartner schilderte.
Die von ihm in Bildern erschaffene Welt war zum Leben erwacht, sie erfreute ihn und ängstigte ihn, sie war eigenständig und außer Kontrolle des Malers, der vom Künstler zum Magier wurde.
Am 22.Aug.1968 verstarb der Künstler, der noch eine Woche vor dem Koma sein letztes Bild malte.
Wer bin ich?
Wer bin ich? So stellt ich die Frage
Von allem Anfang mich.
Wer bin ich?
Frag ich bis zum letzten Tage
Und meine Seele spricht:
,,Ich bin ich",
Ich bin die Form, die sich vergeistigt
Ich bin der Geist, der Form annahm
Ich bin die Lust vom Schmerz gepeinigt
Ich bin der Schmerz, den Wollust überkam.
Ich bin die Schöpfung, die Geschöpf sich nennet,
Ich bin der Wille, der sich selbst entwillt
Ich bin das Eine, das vom Ich sich trennet
Ich bin der Tod, aus dem das Leben quillt.
von R.R. Ballabene
Anmerkungen:
(1)
Friedrich Hölzlin: ,,In Erinnerung an den Meister Rudolf Raimund Ballabene".
Broschüre in Heftform, im Oktober 1968 an Ananda Ballabene adressiert.
(2)
R.R.Ballabene: ,,Die blaue Teekanne", Kapitel ,,Standschützen":
,,Ich war als kleiner Leutnant mit meinen Gebirgsschützen ihnen (Tiroler Gebirgsschützen) zugeteilt. Am Tonalepass, wie am Moszob am Gardasee, wie am Col di Lana habe ich mit ihnen gekämpft, gelitten; ich sang mit ihnen am Lagerfeuer, teilte das Brot mit ihnen und hielt mit ihnen in eisigen Winternächten Schulter an Schulter die Wache."
(3)
In einigen Gedichten läßt er seine Erfahrungen über diesen
Lebensabschnitt durchblicken:
,,Merk' Dir, der hat auf Sand gebaut, der blind des Volkes Gunst vertraut...."
(4)
Wurde unter der Regierung Horthy mehrere Jahre eingekerkert.
(5)
Elvira Ballabene war das uneheliche Kind der Tochter eines Oberrabbiners.
Ihre Mutter war nach den Erzählungen Klavierlehrerin bei einem tartarischen
Großfürsten, in dessen Sohn sie sich verliebte und von dem sie
die Tochter bekam. Aus Standesgründen konnte nicht geheiratet werden
und es wurde die Mutter gebeten die Herkunft des Kindes zu verschweigen.
Nach damaligen Gesetzen konnte der Vormund des Kindes nur ein Mann sein,
weshalb dieses dem nächsten männlichen Verwandten, nämlich
dem Großvater in Obhut gegeben wurde. Die Mutter lebte nicht in dieser
jüdischen Gemeinde und so wuchs das Kind elternlos und in einer Großfamilie
auf, mit nur dem Großvater als Bezugsperson, der sich dem Kind nur
wenig widmen konnte. Vom Rest wurde sie nur als Schandfleck der Familie
betrachtet und hatte zeitlebens darunter gelitten. Sobald Elvira großjährig
war, verließ sie diese Gemeinde und trat zum Christentum über.
6)
Brief von R.R.Ballabene am 29.Sept.1958 an den Regierungspräsidenten
in Köln, Abteilung 14 (Härtefonds für Geschädigte im
Ausland) geschrieben.
(7)
Die Adoption erfolgte erst nach dem Tod des Künstlers, jedoch lebte
Alfred Ballabene (damals um die dreißig Jahre) während der letzten
Jahre des Künstlers mit ihm und seiner Frau in dessen Atelier-Wohnung
und hatte bei ihm den Status eines Sohnes.
(8)
Die Ballabenes waren ursprünglich italienische Bankiers (Lombardei)
und wohnten durch spätere Jahrhunderte in Prag, wo sie zu den Patriziern
der Stadt zählten.
(9)
Aus der ,,Sudetendeutsche Zeitung", 9.Jahrg., Folge 45, München,
7. November 1959. Dort steht auch:
,,Der Malerei hatte er sich von Jugend an verschrieben, obschon er damit ,,aus der Art" schlug. Denn seine Vorfahren waren meist Bankiers und Industrielle. Wenn die Pferdepost des Fürsten Thurn und Taxis vollbeladen nach Prag kam, dann machte sie in Liben ,,Na ballabenze" Station. Der Großvater war nämlich Inhaber zahlreicher Pferdepost-Stationen im Sudetenland."
10)
Ebenda.
,,..nahm er eines Tages endlich die Palette in die Hand und zog mit ihr kreuz und quer durch Europa und hinunter bis nach Südwestafrika. In Prag nistete er sich dann in ein Atelier ein, ging zu Thiele und Novak in die Schule, malte und lebte, reiste und schaute und malte. Damals schon war er kein ,,Naturalist". Damals schon zielte er in seiner Malerei auf eine Auflösung der festen Form, auf die Umgestaltung der Natur durch das schöpferische Temperament, ,,Vom Gegenstand werde ich mich aber nie entfernen" sagt Ballabene, ,,denn er trägt die Farbe und Bewegung".
11)
R.R.Ballabene: ,,Aus der Zeit der Verfolgung", Kapitel ,,Die arische
Großmutter"
,,Ich war zwar durch einen Erlaß und ein Verbot, der sogenannten Kulturkammer, in meiner Arbeit als Künstler stillgelegt, aber die Deutschen rissen sich um meine Bilder, und da auch die Gestapo meine Bilder schätzte und liebte, drückten sie beide Augen zu, wenn ich daheim fleißig weiterpinselte."
12)
,,Prager Nachrichten", XIX, Nr.10, Oktober 1968, Seite 16; Herausgeber
R.Hemmerle, München: Verlag R.Lerche.
"...des Dynamit-Nobel-Direktors Raimund Ballabene, der in Zamky gegenüber von Rostok bei Prag eine Villa bewohnte. Bei diesem verkehrten ständig Spitzenkünstler wie Hermine Mendelsky und Richard Romanowsky. Das mag den Sohn des gastfreien Direktors beeinflußt haben, zumal R.R.Ballabene von Natur aus ein durch und durch musisch veranlagter Mann war. Wohl tat er es eine Zeit lang seinem Onkel, dem Obersten Fritz von Ballabene nach und versuchte sich als schneidiger Offizier."
13)
Ebenda
14)
Diese Koinzidenz dürfte nicht zufällig gewesen sein. Es sieht
vielmehr so aus, als hätten einige Leute der Gestapo oder einer übergeordneten
Instanz Gefallen an den Bildern gefunden und sich diese auf illegale Art
zugelegt. Der Meister (15) erzählte mir folgendes: Nachdem er einige
Tage in Haft war und gelegentlich verhört wurde, legten sie ihm einen
Schein vor, in welchem er sich erklären mußte, die Bilder der
Gestapo zu überantworten. Sie sagten ihm kurz und bündig, wenn
er herauskommen wolle, müsse er unterschreiben. Er tat dies, bekam
noch eine kräftige Ohrfeige und konnte gehen. Zu Hause angekommen
fand er keine Bilder mehr vor.
15)
Die Bezeichnung ,,Meister" ist eine Gewohnheit, die R.R.Ballabene
aus der Tschechoslowakei mitgenommen hatte. Die Tschechen apostrophieren
jeden Künstler mit ,,Meister".
16)
Schriftliches Gutachten vom Generaldirektor der staatl. Kunstsammlungen,
Hofrat Prof.Dr. Alfred Stix, vom 16.Dez.1949, mit der Angabe des Schätzwertes
von 14 Ölgemälden.