SOLARIS - Beiträge verschiedener Autoren


Atlantis - Die Freude am Untergang
1999 © by Sabine Engertsberger



So vernimm denn, Sokrates, eine zwar recht merkwürdige, aber durchaus wahre Geschichte, wie sie einst Solon, der Weiseste von den sieben, erzählt hat ...
So beginnt eine Erzählung des Altertums, eine Legende die die Phantasie der Menschen seit ihrer Entstehung immer wieder neu entflammen läßt. In seinen Dialogen Timaios und Kritias berichtet Platon von einem Kontinent genannt Atlantis, der vor etwa 10500 Jahren innerhalb eines kurzen Tages und einer kurzen Nacht im Ozean versunken sein soll. Es gibt im Netz wenige Seiten, die sich kritisch mit dem Atlantis-Mythos auseinandersetzen; empfehlenswert ist ein Blick auf:
Mentalitätsgeschichte: Das Atlantidische Weltbild
Meinem Großvater Kritias erzählte er gelegentlich einmal - und der hat es als alter Mann mir wieder mitgeteilt -, es gebe viele in alter Zeit von unserem Staat vollbrachte bewundernswerte Taten, die durch die lange Zeit und den Tod der Menschen in Vergessenheit geraten wären; eine aber sei von allen die größte, deren Andenken will ich jetzt erneuern ... die Geschichte der größten und mit vollem Recht berühmtesten Tat unter allen, die unsere Stadt [Athen] vollbracht hat ...
Kritias soll diese Geschichte von dem ägyptischen Priester Solon erhalten haben der ihm erzählte:
Einst, vor der großen Zerstörung durch Wasser, war der Staat, der jetzt der athenische heißt, der kriegstüchtigste und besaß eine in jeder Hinsicht vorzügliche Verfassung; ihm werden die herrlichsten Taten und besten Staatseinrichtungen von allen uns bekannten unter der Sonne zugeschrieben ... Von ihrer Verfassung kannst du dir eine Vorstellung nach der hiesigen machen. Denn du kannst viele Proben eurer damaligen Einrichtungen in unsern jetzigen wiederfinden: eine von allen anderen gesonderte Priesterkaste, dann die Kaste der Handwerker, deren einzelne Klassen für sich und nicht mit den anderen arbeiteten, und die Hirten, Jäger und Bauern; endlich wird dir nicht entgangen sein, daß die Kriegerkaste hierzulande von allen andern getrennt ist und daß nach dem Gesetze ihre einzige Tätigkeit in der Sorge für das Kriegswesen besteht ... Unter allen Großtaten eures Staates, die wir bewundernd in unseren Schriften lesen, ragt aber eine durch Größe und Heldenmut hervor: unsere Schriften berichten von der gewaltigen Kriegsmacht, die einst durch euren Staat ein Ende fand, als sie voll Übermut gegen ganz Europa und Asien vom Atlantischen Meere her zu Felde zog. Denn damals konnte man das Meer dort noch befahren, es lag nämlich vor der Mündung, die bei euch ‘Säulen des Herakles’ heißt, eine Insel, größer als Asien und Libyen zusammen, und von ihr konnte man damals noch nach den anderen Inseln hinüberfahren und von den Inseln auf das ganze gegenüberliegende Festland, das jenes in Wahrheit so heißende Meer umschließt ... Auf dieser Insel Atlantis bestand ein große und bewundernswerte Königsgewalt, die der ganzen Insel, aber auch vielen andern Inseln und Teilen des Festlandes gebot; außerdem reichte ihre Macht über Libyen bis nach Ägypten und in Europa bis nach Tyrrhenien. Diese Reich machte einmal den Versuch, mit geeinter Heeresmacht unser und euer Land, überhaupt das ganze Gebiet innerhalb der Mündung mit einem Schlag zu unterwerfen. Da zeigte sich nun die Macht eures Staates in ihrer ganzen Herrlichkeit und Stärke vor allen Menschen: allen anderen an Heldenmut und Kriegslist voraus, führte er zuerst die Hellenen, sah sich aber später durch den Abfall der andern genötigt, auf die eigene Kraft zu bauen, und trotz der äußeren Gefahr überwand er schließlich den herandrängenden Feind und errichtete Siegeszeichen; so verhinderte er die Unterwerfung der noch nicht Geknechteten und ward zum edlen Befreier an uns innerhalb der Tore des Herakles. Später entstanden gewaltige Erdbeben und Überschwemmungen, und im Verlauf eines schlimmen Tages und einer schlimmen Nacht versank euer ganzes streitbares Geschlecht scharenweise unter die Erde, und ebenso verschwand die Insel Atlantis im Meer. Darum kann man auch das Meer dort jetzt nicht mehr befahren und durchforschen, weil hochaufgehäufte Massen von Schlamm, die durch den Untergang der Insel entstanden sind, es unmöglich machen.
Ein Propagandatext, der keinen Zweifel daran läßt, warum er geschrieben wurde: um die jungen Hellenen an ihre glorreiche Vergangenheit zu erinnern und sie zu ermuntern diese fortzuführen. Auch Aristoteles, ein Schüler Platons sprach immer nur von der Fiktion Atlantis - ein Traumbild, eine Wunschvorstellung, eine Warnung vor dem Untergang der hellenischen Zivilisation aufgemacht an der Geschichte eines erfundenen Untergangs eines ganzen Kontinents.

Und doch gibt es so viele Menschen die dieses einfache Tatsache nicht akzeptieren können - für sie hat Atlantis nur dann einen Wert, wenn es geschichtlich existiert hat, wenn es tatsächlich in einer riesigen Katastrophe vernichtet wurde. Warum? Das scheint mir die spannendste Frage am ganzen Atlantis-Mythos zu sein: Warum übt er eine solche Faszination auf die Menschheit aus, warum scheint das Glück, die Hoffnung und der Glaube an den Sinn des Daseins vieler Menschen davon abhängig zu sein, daß vor tausenden Jahren ein hochzivilisiertes und kultiviertes Volk vernichtet wurde?

Warum sehnen sich die Menschen nach der Vernichtung von Kultur, Luxus und materiellem Wohlergehen? Kann es denn sein, daß der Glaube an den tatsächlichen Untergang von Atlantis der schadenfrohen Lust von Menschen entspringt, die sich in irgendeiner Form als Verlierer eines Systems fühlen, das auf Wissenschaft, Kunst und Kultur, das auf Reichtum aufgebaut ist? Sollte die Antwort auf diese Frage JA lauten, ist es ein hochaktueller Mythos, der wohl nicht ganz zufällig heute wieder, an der Schwelle zum 21. Jahrhundert so populär geworden ist. Wieder sehen wir uns einer großen Anzahl von Leuten gegenüber, die fast mit einer teuflischen Freude auf den angeblich kommenden Weltuntergang warten. Alle Bösen sollen vernichtet werden, wobei diese Menschen sich selbst natürlich zu den Guten, zu den Überlebenden der Vernichtung zählen. Mit leichtem Entsetzen denke ich dabei an einen Artikel, den ich kurz vor dem 11. August dieses Jahres - man erinnere sich: der Tag der Sonnenfinsternis - gelesen habe. Der Autor behauptete, daß uns an diesem Tag entsetzliche Dinge bevorstehen würden, die das ‘Große Gericht’ einleiten sollen und verstieg sich sogar zu der Aussage: Endlich wird dieser geschundene Planet von der verderbten Menschheit gereinigt. Es ist ein Grund zum Jubel und zur Heiterkeit und jeder der sich nicht auf diesen Augenblick der totalen Vernichtung freut, zeigt damit schon, daß er ein schlechter, ja sogar ein geistig kranker Mensch ist.

Was soll man dazu sagen? Wer ist hier krank - ist man versucht zu fragen. Traurig nur, daß sehr viele Menschen so denken, daß zur Zeit in vielen Städten dieser Welt Menschen sitzen und sich voll Freude auf das in ein paar Wochen stattfinden sollende Weltgericht vorbereiten. Sie wünschen die Vernichtung der Bösen, der aggressiven und gewalttätigen Menschen herbei. Sehen sie wirklich nicht, wie aggressiv und gewalttätig sie selbst sind? Was haben sie schon anderes getan als mit einem bemerkenswerten psychologischen Trick alle Schuld von sich auf das Göttliche zu übertragen: denn nicht sie sind es ja, die am Tage X Milliarden Menschen auf das Grausamste ermorden werden - nein, das sind nicht sie, sie wären dazu gar nicht fähig, da sie nur mehr für das Gute und Pazifistische leben - nein, Gott selbst wird diese blutig Arbeit für sie erledigen. Und sie können weiter Hosiannah singen und sich der Illusion hingeben zu den Auserwählten, zu den der Errettung würdigen zu gehören.

Ich bin sehr froh, daß dieser Weltuntergang nicht kommen wird - nicht nur für mich und die Meinen; auch für diese Menschen selbst, die ihn so sehr herbeisehnen. Es könnte sonst sein, daß sie in den letzten Sekunden ihres Lebens voll Schrecken feststellen müßten, daß sie zu den ersten Opfern des göttlichen Vergeltungsschlages gezählt hätten.

Was das alles mit dem Mythos um Atlantis zu tun hat? Die Freude am Untergang - hier wie dort. Die Freude an der Zerstörung von Wissen, von Kunst und Kultur, die Freude am Untergang der Zivilisation und die seltsame Hoffnung auf ein ‘freies’ Leben in unberührter Natur. In mir keimt der stille aber immer lauter werdende Verdacht, daß solche Menschen noch nie sehr lange in wirklich unberührter Natur leben mußten. Wenn sie es einmal tun würden, bemerkten sie vielleicht, daß nicht nur der Mensch aggressiv ist, sondern daß diese so verurteilte Aggressivität ein Grundstoff der Natur ist, das wichtigste Mittel um auf diesem Planeten zu überleben. Die Natur ist nicht nur freundlich, idyllisch und nett - sie kann denen gegenüber, die ihre grausame Seite nicht zu würdigen wissen sehr schnell sehr brutal werden; und wenn man das einmal erlebt hat, weiß man wieder, warum der Mensch sich um Wissenschaft und Kultur bemüht - es lebt sich einfach besser damit.

Wer sich für "Beweise" des geschichtlichen Atlantis interessiert ist auf folgenden Webseiten gut aufgehoben:
Das Weisse Pferd - Ausgabe 3/99: Atlantis - der versunkene Kontinent

Gedanken über Atlantis

Atlantis


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