Das g�ttliche Leben
Swami Chidananda wurde 1916 als �ltester Sohn einer orthodoxen Brahmanenfamilie in S�dindien geboren. Schon als Kind f�hlte er sich von hingebungsvollen Liedern und Geschichten aus den hinduistischen Schriften sehr angesprochen. In den Jahren seines Studiums erweckten die Biographien und Lehren von modernen Heiligen wie Sri Ramakrishna, Swami Vivekananda, Ramana Maharshi oder Swami Ramdas in ihm eine gl�hende Sehnsucht nach dem spirituellen Leben. 1943 kam er in den Ashram des weltber�hmten Heiligen und Weisen Swami Sivananda, Gr�nder der Divine Life Society (Gesellschaft f�r das G�ttliche Leben, A.d.�.), dessen leidenschaftliche spirituelle Schriften ihn schon lange angezogen hatten. Der Sivananda Ashram, der damals nur aus einigen wenigen Geb�uden bestand, liegt am Ufer des Ganges am Fu�e des Himalaya bei Rishikesh in Indien. In dieser Phase seines Lebens bestanden die Aktivit�ten Swami Chidanandas unter anderem aus dem Halten von Vortr�gen, der Betreuung von G�sten im Ashram und dem Dienst an Kranken. Das war der Beginn seines sp�teren, lebenslangen Bem�hens um die Leprakranken. Ende 1959 wurde er von Swami Sivananda auf eine zwei Jahre dauernde Vortragsreise um die ganze Welt geschickt. Nach dem Tod Swami Sivanandas 1963 wurde er schlie�lich dessen Nachfolger als Pr�sident der Divine Life Society. Seither ist das Leben von Swami Chidananda gepr�gt von beinahe ununterbrochenem Reisen, sowohl in Indien als auch im Ausland, im Dienste des zentralen Anliegens der Divine Life Society: Verbreitung von spirituellem Wissen.
Als Andrew Cohen aus Australien anrief und uns fragte, ob wir ein Interview mit Swami Chidananda �ber die Rolle der Enthaltsamkeit im spirituellen Leben machen k�nnten, war unsere erste Reaktion: "Wann wird Swamiji jemals Zeit daf�r haben?" Unsere zweite Reaktion war allerdings: Wenn es irgend jemanden auf der Welt gibt, der ein praktisches Verst�ndnis von Enthaltsamkeit hat, dann ist es Swamiji, und deshalb sollten wir um das Interview bitten.
Als Swamiji also einige Tage sp�ter zu den f�nf Tage dauernden Feiern anl��lich Navaratri in den Ashram zur�ckkam, wurde ihm unser schriftliches Ansuchen �bergeben. An diesem Abend wandte er sich nach dem Satsang (Zusammensein mit einem spirituellen Lehrer) an mich und sagte, da� es ihm zwar unm�glich w�re, in den n�chsten Tagen Zeit zu finden, da� wir ihn aber, wenn wir die M�he nicht scheuten, in zwei Wochen an einem Ort in der N�he von Delhi treffen k�nnten. Es handelte sich um ein neues Haus auf dem Land, das man ihn gebeten hatte, offiziell zu er�ffnen und einzuweihen, wo wir dann einige Tage verbringen k�nnten. Wir stimmten begeistert zu. So kam es, da� wir Ende Oktober vier volle Tage lang nicht nur ein wenig informelle Zeit mit ihm verbringen konnten, sondern es uns auch noch gelang, f�nf Stunden Gespr�ch zum Thema dieser Ausgabe von Was ist Erleuchtung? aufzunehmen.
Das Interview sollte am sp�teren Vormittag des ersten Tages beginnen, aber Swamiji war zu m�de, und so sahen wir ihn zum ersten Mal, als er sich uns bei Sonnenuntergang zu einem Spaziergang anschlo�. Als wir so langsam die Landstra�e entlanggingen, kamen wir an einem Torw�chter vorbei. Swamiji blieb stehen und sprach f�nfzehn Minuten mit ihm. Wir verstanden kaum etwas von dem Hindi, das sie sprachen, aber wir wu�ten, da� er dem Mann Fragen �ber seine Familie und sein Leben stellte. Im Weitergehen wurde uns bewu�t, da� ein weiteres Leben von einem Menschen ber�hrt worden war, der im Herzen noch immer ein einfacher M�nch war, dessen Lebensziel es ist, so vielen Menschen wie m�glich so viel Gutes wie m�glich zu tun.
Als wir nach dem Spaziergang die Treppe hinaufstiegen, sagte Swamiji zu uns: "Das Thema von Brahmacharya, Z�libat oder Enthaltsamkeit, steht in der Hindugesellschaft nicht unbedingt mit dem spirituellen Leben, dem Sadhana (spirituelle Praxis) oder der Selbstverwirklichung, in Verbindung. Es wird f�r gew�hnlich nicht ausschlie�lich aus der Sichtweise heraus diskutiert oder empfohlen, um das spirituelle Leben zu f�rdern." Wir waren oben an der Treppe angekommen und gingen in seinen Raum. Swamiji beschrieb uns das traditionelle Leben der Hindugesellschaft und die Beziehung zum Thema Brahmacharya und sexuelles Leben, um uns den umfassenderen Zusammenhang zu verdeutlichen, in dem Brahmacharya in der Hindutradition gesehen wird.
Im alten Indien, erkl�rte er, wurde ein Menschenleben mit hundert Jahren angesetzt und in vier Phasen geteilt. Die erste Phase war die Zeit als Sch�ler, die Zeit von Brahmacharya, wo vom jungen Menschen erwartet wurde, da� er sich intensiv seinen Studien widmete, seinen K�rper gesund und kr�ftig machte und sich in jeder Hinsicht auf das darauf folgende Leben als Erwachsener vorbereitete. In diesem Abschnitt war Enthaltsamkeit geboten.
Der zweite Abschnitt war das Leben als verheirateter Mensch in der Familie, wo die Aus�bung der Sexualit�t Voraussetzung und legitimer Teil des Lebens des Menschen ist; es wurde als die fundamentale Pflicht einer Familie betrachtet, Nachkommen zu haben, die dann die n�chste Generation bilden w�rden. Swamiji fuhr fort: "Nat�rlich war damit nicht die Praxis ungez�gelter Sexualit�t gemeint; das w�re erniedrigend. Aber das geschlechtliche Leben an und f�r sich war gesellschaftlich voll akzeptiert."
"Der dritte Lebensabschnitt war die Zeit des Lebens in Abgeschiedenheit, wenn das Ehepaar die Pflicht zum Erwerb des Lebensunterhalts in die H�nde der Kinder legte und den Geist auf H�heres richtete", erkl�rte Swamiji. Nun wurde die Praxis von Brahmacharya wieder Teil ihrer Sadhana.
"Dann, im vierten Abschnitt, wurde das Leben g�nzlich Gott gewidmet. Man wurde Sannyasin, M�nch, und dann war das Z�libat nat�rlich automatisch. Ihr seht also, das Konzept von Brahmacharya war integraler Bestandteil der indisch-hinduistischen Gesellschaftstradition. Im engeren Sinn bedeutet Brahmacharya absolute Enthaltsamkeit, aber in weiterem Sinn bedeutete es in seiner Anwendung auf das Leben in der Familie Selbstbeherrschung, keinen Mi�brauch der Sexualit�t und strikte Treue dem Partner gegen�ber."
Dann wechselte unser Gespr�ch zu dem Thema der spirituellen Praxis, welche Rolle sie spielt und in welcher Weise sie dabei helfen k�nnte, das Bewu�tsein durch Verst�rken der in uns liegenden h�heren Tendenzen zu erweitern. "Die meisten Menschen sind nichts anderes als Tiere in Menschengestalt", sagte Swamiji. "Sie sind g�nzlich im K�rperbewu�tsein verwurzelt. Sie haben keine Vorstellung davon, da� sie etwas anderes sind. Auch ihr Geist funktioniert auf instinktive Weise. Alle Dinge geschehen als Reaktion auf das, was ihnen passiert, nicht als beabsichtigte freie Aus�bung ihrer geistigen Kapazit�ten. Daf�r ist keine Zeit. Sobald sie morgens aufstehen, werden sie von den Aktivit�ten des Alltags aufgesogen."
"Und im ganzen spirituellen Leben", sagte er weiter, "geht es darum, allm�hlich das Tier im Inneren zu eliminieren und auszumerzen und die gesamte menschliche Natur zu verfeinern, zu reinigen und heranzubilden, damit sie aufh�rt, sich in alle m�glichen Richtungen zu bewegen, und anf�ngt, eine Richtung einzuschlagen, die vertikal nach oben f�hrt. Sobald der menschlichen Natur eine ansteigende Richtung gegeben wurde, beginnt gleichzeitig, mittels spiritueller �bungen, die schlummernde G�ttlichkeit zu erwachen. Wenn man wei�, da� der spirituelle Proze�, das spirituelle Leben, darin besteht, das Tierische zu beseitigen, das Menschliche zu verfeinern und aufw�rts zu lenken und das G�ttliche zu erwecken und zu entfalten, erhalten alle spirituellen Praktiken, einschlie�lich der Rolle, die Brahmacharya spielt, den richtigen Stellenwert."
Offensichtlich hatte Swamiji an unserem ersten Gespr�ch Gefallen gefunden. Er l�chelte und sagte: "Wir m�ssen Andrew Cohen also dankbar daf�r sein, denn letztlich steht er dahinter, ist er die Wurzel. Morgen werden wir dann eine Frage nach der anderen besprechen."
Die Gespr�che, die wir in den n�chsten Tagen mit Swamiji f�hrten, enth�llten eine Seite von ihm, die man nicht oft zu sehen bekommt. Normalerweise sieht man in ihm das, was man von einem Heiligen erwartet - heilige W�rde, Milde, Freude, die st�ndige Sorge um den anderen, Sch�nheit der Bewegungen und eine Pr�senz, die sich auf subtile Weise in den Herzen derer, die seinen Weg kreuzen, erkennbar macht. Das folgende Interview zeigt, aus welchem Stoff ein Heiliger tats�chlich gemacht ist. Es tr�gt zur Vervollst�ndigung des Bildes bei.
Bill Eilers und Susan Eilers (Swami Atmaswarupananda und Swami Amritarupananda) wurden in Kanada geboren. Beide leben schon lange im Sivananda Ashram, und beide haben das lebenslange M�nchsgel�bde abgelegt. Nebst anderen Aktivit�ten arbeiten sie gemeinsam an der Bearbeitung von Swamijis Vortr�gen f�r die Ver�ffentlichung.
Das g�ttliche Leben
Eine Interview mit Swami Chidananda
von Bill Eilers und Susan Eilers
Frage: Z�libat und Brahmacharya nahmen im spirituellen Leben immer einen wichtigen Platz ein, und wir wissen, da� sowohl Swami Sivananda als auch Sie selbst diese Bedeutung unterstreichen. Warum ist das Z�libat wichtig, und welche Rolle spielt es im spirituellen Leben?
Swami Chidananda: Einer der Gr�nde f�r die gro�e Bedeutung des Z�libats ist, da� uns unser spirituelles Erbe sagt, es sei eine Grundvoraussetzung, eine Notwendigkeit im spirituellen Leben. Und diese Ansicht wurde �ber viele Jahrhunderte hinweg, in denen sich die indische Gesellschaft ver�ndert hat und viele andere alte Konzepte abgelegt wurden, weiter gepflegt.
Der Hindu war immer sehr progressiv. Er ist nie vor einer Ver�nderung zur�ckgeschreckt, wenn er das Gef�hl hatte, da� diese Ver�nderung seinem Wissen f�rderlich sein und ihn in eine bessere Richtung lenken k�nnte. Und durch den Kontakt mit den Ansichten und dem Wissen anderer Kulturen kam es zu einer st�ndigen Neubewertung unserer alten Konzepte und Standpunkte. Trotz alledem stellen wir fest, da� das Konzept von Brahmacharya und seine bedeutende Rolle im spirituellen Leben weiter bestehen blieb. Es bestand den Test der Zeit; es ist zeitgepr�ft. W�re es nicht etwas, das dauerhaften Wert hat, h�tte es sich auch ge�ndert. So ist es aber nicht. So wie es vor Tausenden von Jahren gesehen wurde, so sehen es spirituelle Lehrer, Gurus und Yogis noch heute - mit derselben Einstellung, da� es eine notwendige und wichtige Sache ist.
Ein weiterer Grund daf�r, da� ich stets ein Verfechter des Z�libats war, ist, da� die herausragenden Pers�nlichkeiten, die, seitdem ich denken kann, einen formenden Einflu� auf mein Leben ausge�bt haben - Pers�nlichkeiten wie Ramakrishna Paramahansa, Swami Vivekananda, Sri Aurobindo Gosh und nat�rlich auch Swami Sivananda selbst - alle auf das Z�libat schworen. Sie sagten, es sei h�chst wichtig, ja, unerl��lich. Nat�rlich, wenn diese Personen, die Quelle meiner Inspiration im spirituellen Leben waren, so klar und explizit waren - f�r sie schien kein Zweifel dar�ber zu bestehen -, sagte ich mir: o.k., so ist es! Das war f�r mich ausschlaggebend in meinem Zugang zum spirituellen Leben.
Brahmacharya, oder Z�libat, ist ein rationaler Vorgang zur Bewahrung und Erhaltung wertvoller Energie, damit diese f�r andere sehr wesentliche und unerl��liche Funktionen zur Verf�gung stehen kann. Und wenn sie auf diese Weise bewahrt wird, kann sie umgeformt werden, so wie greifbares grobstoffliches Wasser in Dampf umgeformt werden kann. Dann kann sie Wunder wirken. Ein Flu� an sich hat vielleicht nicht besonders viel Kraft. Es ist vielleicht m�glich, ihn rudernd oder schwimmend problemlos zu �berqueren. Wenn er aber aufgestaut und das Wasser zur�ckgehalten wird, hat er, richtig gelenkt, die Kraft, riesige Turbinen anzutreiben. Die gl�hend hei�e Sonne wird normalerweise nicht einmal im Sommer ein Feuer entfachen; wenn die Strahlen aber durch eine Linse geb�ndelt werden, verbrennen diese Strahlen sofort alles, worauf sie gerichtet sind. Darum geht es eigentlich beim Z�libat.
Die interessante Frage ist nun: Woher kommt diese Energie, was ist ihr Ursprung? Nach Jahren der Theorie und des Forschens sind moderne Physiker zum Schlu� gekommen, da� alles das, was in der Natur existiert, nicht greifbare feste Materie als solche ist. Es ist Energie, Energie, die den gesamten Kosmos, den ganzen Raum erf�llt.
Und unsere Vorfahren haben gesagt, da� diese kosmische Energie die Himmelsk�rper in ihrer Bahn h�lt. Sie alle werden von dieser geheimnisvollen, unerkl�rbaren, unbeschreiblichen und unvorstellbaren Energie in Bewegung gehalten. Und sie betrachteten diese Energie als etwas G�ttliches, etwas, das weder Anfang noch Ende hat. Sie ist ewig und alldurchdringend. Es gibt keinen Ort, an dem sie nicht ist. Und im Menschen existiert diese Energie als Sexualkraft. Die Hindus betrachteten diese Energie als heilig, als etwas Verehrungsw�rdiges, das nicht vergeudet werden darf. Sie sagten, diese Energie sei nichts anderes als die Manifestation der G�ttlichen Mutter, die kosmische Energie; deshalb mu� ihr mit Ehrerbietung begegnet werden.
Diese kosmische Kraft manifestiert sich in unserem System als Prana (Lebensenergie, Lebenskraft). Und Prana ist der wertvolle Vorrat, der dem Suchenden zur Verf�gung steht. Jede Sinnesaktivit�t oder Sinneserfahrung verbraucht eine gro�e Menge Prana. Und die Aktivit�t, die das meiste Prana verbraucht, ist der Geschlechtsakt. Das h�chste aller Ziele im menschlichen Leben, spiritueller Erfolg, erfordert ein Maximum an verf�gbarem Prana auf allen Ebenen: geistig, intellektuell und emotional. Prana ist notwendig f�r spirituelle Reflexion und Unterscheidung. Das Denken mu� scharf und der Intellekt durchdringend sein. Es bedarf einer speziellen Art von Intelligenz, um die inneren Implikationen, die in den Anweisungen eines Gurus enthalten sind, zu verstehen. Man mag ein sehr kluger Mensch sein, und man mag die w�rtliche Bedeutung einer Aussage des Gurus sofort erfassen, wenn der Guru aber �ber ein schwer zu verstehendes Thema spricht, das nicht im Bereich der normalen menschlichen Erfahrung liegt, ist daf�r eine spezielle Art von Verst�ndnis erforderlich. Und dieses Verst�ndnis entwickelt sich durch Brahmacharya. Wie ich schon sagte, braucht man f�r alle diese Praktiken Prana, und Enthaltsamkeit garantiert, da� dem Suchenden gro�e Pranareserven zur Verf�gung stehen. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet ist das Z�libat sehr vern�nftig und positiv.
Das ist der rationale Aspekt von Enthaltsamkeit. Wenn die Lebensenergie bewahrt und in den spirituellen Proze� der Kontemplation, in philosophisches Studium, Reflexion und Meditation eingebracht wird, werden diese erfolgreich sein, weil die Kraft konzentriert worden ist und man die konzentrierte Kraft steuern und auf die spirituellen Praktiken lenken kann. Wenn sie bewahrt, konzentriert und in bestimmte Kan�le gelenkt wird, kann sie Wunder wirken.
Es gibt noch einen Grund, warum Brahmacharya wichtig ist. Ich spreche jetzt nicht von au�ergew�hnlichen Menschen, die eine pl�tzliche Erleuchtung haben und sich dann ein f�r allemal �ber die grobstoffliche physische Ebene des K�rperbewu�tseins zu einer anderen erhoben haben, von der sie nicht mehr zur�ckkommen. In einem einzigen Augenblick der Erleuchtung wurde Ramana Maharshi im Bewu�tsein fest verwurzelt. "Ich bin weder K�rper noch Geist, ich bin das unsterbliche Selbst. Ich habe weder Raum noch Zeit, ich wurde nie geboren." Im Bruchteil einer Sekunde - einen Moment vorher war er ein ganz normaler Sch�ler, und dann wei� er pl�tzlich, da� er das ist, was die Bhagavad Gita so beschreibt: "Feuer kann dich nicht verbrennen; Wasser kann dich nicht benetzen; Waffen k�nnen dir nichts anhaben; der Wind kann dich nicht austrocknen. Du bist nie geboren worden, du bist ewig, jenseits der Zeit. Tod gibt es nicht f�r dich" - er wurde ein f�r allemal in dieser Erfahrung gefestigt, und er verlie� diesen Zustand nie mehr. Sein ganzes Leben lang lie�en ihn die Dinge, die um ihn herum vorgingen, unber�hrt. Sie hatten keinen Einflu� auf ihn. Aber ich spreche nicht von solchen Menschen.
Schon vor langer Zeit forschte die Vedanta �ber dieses Thema der menschlichen Situation, und die Weisen sahen klar und deutlich, da� 9.999 von 10.000 vollkommen in diesem Zustand von "Ich bin dieser K�rper" gefangen waren. Sie sahen ihre Identit�t einzig und allein als physisches Wesen mit H�nden und F��en, Augen und Ohren, das i�t, trinkt, schl�ft, spricht und verschiedene Dinge tut. Sie sind also v�llig k�rpergebunden. Ihr Bewu�tsein bewegt sich auf der Ebene des physischen K�rpers. Das ist die Situation. Aber der spirituell Suchende strebt nach dem kosmischen Bewu�tsein, der inneren Realit�t, die �ber Zeit, Raum, Name und Form hinausgeht. Wenn man also ihren gegenw�rtigen Bewu�tseinszustand der Erfahrung gegen�berstellt, die sie zu erreichen w�nschen, kann man sich leicht vorstellen, wie unm�glich dieses Vorhaben w�re, wenn sie sich weiterhin vollst�ndig mit dem physischen K�rper und all seinen Funktionen identifizieren w�rden.
Die meisten k�rperlichen Vorg�nge finden mechanisch statt. Kaum jemand ist sich sehr deutlich bewu�t, da� er i�t, trinkt, schl�ft, ausscheidet. All das hat sich automatisiert. Der einzige Vorgang allerdings, den die meisten Menschen mit Zielstrebigkeit ausf�hren, nach dem sie gro�es Verlangen haben - den sie wollen, an den sie denken, den sie planen und hinter dem sie her sind -, ist die sexuelle Befriedigung. Was bedeutet, da� dies ein Vorgang ist, der ihr gesamtes Bewu�tsein, ihren ganzen Geist und ihre volle Aufmerksamkeit auf das K�rperliche, auf ihre physische Identit�t lenkt. Einerseits ist der Geschlechtsakt der Gipfel der K�rperlichkeit oder Animalit�t. Es ist ein Proze�, der notgedrungen die gesamte Aufmerksamkeit auf das K�rperliche und noch mehr die volle Konzentration des W�nschens und Strebens auf den Teil der physischen Natur lenkt, den der Mensch mit dem gesamten Tierreich teilt. Wird dies irgendwie dazu beitragen, kosmisches Bewu�tsein zu erlangen?
Da ist also ein Mensch, die Krone und erhabener Ausdruck der Sch�pfung Gottes, allen anderen Lebewesen weit �berlegen, der sich zur grobstofflichen, physischen, materiellen und animalischen Ebene herabl��t und sich ihr v�llig hingibt: Er sucht es, er will es, er bem�ht sich darum, er tut alles, um es zu bekommen, er l��t sich darin gehen, und er will, da� es immer verf�gbar ist. Das hei�t, der Mensch bindet sich mit voller Absicht an eine Ebene des physischen Bewu�tseins.
Wenn du ein spirituell Suchender bist, kannst du denn nicht erkennen, da� du dir selbst im Wege stehst? Du mu�t das Bewu�tsein aus den niederen Ebenen befreien und fortw�hrend zu immer h�heren und h�heren Ebenen feinerer und immer subtilerer Zust�nde erheben. Denn wenn der gesamte spirituelle Proze� von Erleuchtung und Erkenntnis ein Proze� des sich Erhebens zu einem h�heren Bewu�tseinszustand ist, impliziert das automatisch, da� man sich aus einem niederen Bewu�tseinszustand befreit. Wenn du nach Norden gehen willst, bewegst du dich automatisch vom S�den weg. Und eines der Dinge, die dabei helfen, sich aus der Gefangenschaft auf dieser physischen Ebene zu befreien, ist Enthaltsamkeit. Das kosmische Bewu�tsein, das absolute Bewu�tsein, ist Lichtjahre entfernt, wenn man nicht die Notwendigkeit erkennt, sich von der absoluten Identifikation mit dem K�rper zu befreien.
Frage: Gibt es spezielle Phasen im spirituellen Leben, in denen Enthaltsamkeit besonders wichtig oder sogar unabdingbar wird?
Swami Chidananda: Ja und nein. Einerseits ist Enthaltsamkeit das eigentliche Fundament. Es ist der allererste Abschnitt, die ABC-Phase. Man kann also sagen, da� es nicht irgendwann wichtig oder unerl��lich wird, sondern da� es von Anfang an essentiell ist.
Swami Chidananda: Wenn man nach Authentizit�t und Aufrichtigkeit strebt und wenn das Streben die Form eines totalen Engagements f�r die spirituelle Erfahrung und vollen Einsatz in diese Richtung hin annimmt, dann darf man nur in diese eine Richtung gehen. Man kann nicht zwei Dinge gleichzeitig verfolgen. Das w�re ein Schritt vorw�rts und einer zur�ck, ohne da� man je wirklich weiterk�me.
Das spirituelle Leben beginnt mit der Erkenntnis, da� man keinen Schritt vorankommt, wenn man sich blindlings in das Streben nach Sinnesbefriedigung und Vergn�gen st�rzt. Dann bleibt alles akademisch und theoretisch. Das Bem�hen und der Wunsch nach spirituellem Leben bestehen dann nur in der Theorie - eine Laune und ein Gef�hl. Man hat gar nicht begonnen. So ist also die Anfangsphase des spirituellen Lebens an und f�r sich eine Abkehr von Sinnesbefriedigungen und -erfahrungen und ein Start in die entgegengesetzte Richtung.
Swami Sivananda sagte: "Brahmacharya ist die Grundlage f�r Unsterblichkeit." Und an vielen Stellen in den Upanishaden hei�t es: "Man kann keine Weisheitserfahrung machen, wenn man seine Sinne nicht beherrschen und die Wechselhaftigkeit seines wandernden Geistes nicht kontrollieren kann." Ich denke also, es ist nicht in irgendeiner Phase des spirituellen Lebens, sondern immer bedeutend. Denn im spirituellen Leben geht es um das Transzendieren der menschlichen Natur und des menschlichen Bewu�tseins. Und wenn es ein Transzendieren ist, mu� man all das hinter sich lassen, was die menschliche Natur, die K�rperlichkeit, ausmacht. Man mu� damit beginnen und damit weitermachen. Du siehst Enthaltsamkeit als etwas Positives und nicht als etwas Unnat�rliches. Du hast in keiner Weise das Gef�hl, da� du dir irgendeine Gewalt antust.
Letztendlich, vom rein wissenschaftlichen und technischen Standpunkt aus gesehen, ist einer der Yogas, bei dem die Enthaltsamkeit absolut unabdingbar ist, Kundalini Yoga (die Praxis des Erweckens der Lebensenergie). Da gibt es keinen Kompromi�. Von allem Anfang an ist sie absolut wichtig und unerl��lich. Es kann ansonsten gef�hrlich sein. Soviel zum "Nein-Teil" der Antwort.
Was das "Ja" betrifft, ist zu sagen, da� es im gesamten Kontext des spirituellen Lebens in Indien gewisse Phasen und Situationen gibt, wo man hoch spirituell sein und trotzdem ein normales sexuelles Leben f�hren kann. Das gilt vor allem f�r den Bhakti-Weg - Menschen, die den Weg der Liebe zu Gott gehen: Fr�mmigkeit, Gebet und Gottesdienst, das Wiederholen des g�ttlichen Namens und Singen Seiner Herrlichkeit. Dieser Pfad macht keinen Unterschied zwischen einem z�libat�ren Brahmachari, einer verheirateten Person mit Familie oder einem Paar, das sich von der Welt zur�ckgezogen hat und seinem Leben eine spirituelle Ausrichtung gibt, nachdem die Pflichten innerhalb der Familie erf�llt sind. Der Pfad der Fr�mmigkeit scheint eine Dimension des spirituellen Lebens in Indien darzustellen, wo nicht auf dem absoluten Z�libat in seiner Form als totaler Enthaltsamkeit bestanden wird. Es wird nicht abgelehnt, aber es wird auch nicht darauf bestanden. Da der Geschlechtsakt aber ein gro�es Ma� an Prana-Energie verbraucht, ist auch hier eine nat�rliche Zur�ckhaltung erforderlich. Und Sex mit verschiedenen Partnern wurde niemals unterst�tzt, niemals positiv gesehen. Es kann also auch eine Form von Zur�ckhaltung durch Selbstbeherrschung und Treue in der sexuellen Beziehung zum gesetzlich anerkannten Partner als Brahmacharya gesehen werden.
Und dies war bei so vielen Gl�ubigen der Fall, bei Menschen, die Gott liebten, und im spirituellen Indien mangelt es daf�r nicht an Beispielen. In ganz Indien sahen wir das Ph�nomen gro�er Gemeinschaften von ekstatischen Gottesverehrern, und die meisten oder fast alle waren verheiratet und f�hrten ein normales sexuelles Leben; trotzdem gingen sie vollkommen in der Liebe zu Gott auf. Soviel also zum "Ja". In dieser Situation scheint Sexualit�t keinesfalls verboten oder mit dem spirituellen Leben unvereinbar zu sein.
Frage: Ich nehme an, da� die vedantische Untersuchung, der eher intellektuelle Zugang zum spirituellen Leben, ebenfalls nicht unvereinbar mit einem normalen Eheleben w�re.
Swami Chidananda: Ja, ja. Aber in einem vedantischen Leben w�rde der Mensch allm�hlich, unbewu�t und ohne es �berhaupt zu beabsichtigen, im Laufe der Zeit zu einer Bewu�tseinsebene gelangen, wo Sex �berfl�ssig zu erscheinen beginnt. Weil es ja der Grundthese der Vedanta widerspricht: "Ich bin nicht dieser K�rper. Ich bin nicht die f�nf Elemente. Ich bin nicht die begrenzenden H�llen. Ich bin etwas ganz anderes." Und f�r dieses andere Etwas ist Sex bedeutungslos. Denn es befindet sich nicht im Bereich des physischen Bewu�tseins und der physischen Funktionen.
Frage: Enthaltsamkeit wird im modernen Westen oft als unzeitgem��e und altmodische Praxis betrachtet. Sie wird oft f�r repressiv und lebensverneinend gehalten - ja, sogar als Antithese zu dem, worum es in der spirituellen Praxis eigentlich geht. Viele spirituelle Autorit�ten im Westen lehren jetzt, da� wir unsere Sexualit�t annehmen m�ssen, um unser volles Potential als Menschen auszusch�pfen, und sie in keiner Weise verdr�ngen oder unterdr�cken d�rfen. Diese Ansichten stehen in sehr krassem Widerspruch zu dem, was die gro�en Traditionen immer gelehrt haben. Was sagen Sie zu diesem Punkt?
Swami Chidananda: Ich stimme nicht mit dieser allgemeinen Meinung, die gerade zum Ausdruck gebracht wurde, �berein. Es wurde verabs�umt, den Platz von Brahmacharya im spirituellen Leben in Betracht zu ziehen. Es ist nicht unzeitgem��; es ist �berhaupt nicht altmodisch, und es ist nicht repressiv oder lebensverneinend. Im Gegenteil, es wird zur Plattform f�r ewiges und immerw�hrendes Leben. Diese Sicht des Lebens scheint sehr eingeschr�nkt und eng zu sein. Das Leben hier ist nicht das einzige Leben. Wenn man einen kleinen Eindruck, eine Idee davon erh�lt, was Leben wirklich ist, wird man ganz einfach verbl�fft sein. Dieses gegenw�rtige Leben ist ohne Bedeutung. Es ist eine unbedeutende Lappalie, ein Nichts, wenn es nicht in seiner Funktion als Sprungbrett zum Abheben in ein gr��eres Leben verstanden wird. Dieses Leben ist ein Mittel, um das gro�artige, erhabene und gro�e Ziel und den Zweck der menschlichen Existenz zu erf�llen, n�mlich in ein Leben einzugehen, das das Leben Gottes ist, das eins ist mit dem Leben Gottes, mit dem K�nigreich des Himmels. Das ist der einzige Sinn der menschlichen Existenz. Das menschliche Leben wurde uns als ein �bergang zur G�ttlichkeit gegeben, als �bergang zum ewigen Leben.
Brahmacharya bedeutet also weder Unterdr�cken noch Verdr�ngen von Sexualit�t. Die Sexualit�t wird umgangen - und dieses sexuelle Potential wird f�r etwas verwendet, das zehnmal, hundertmal gro�artiger ist. Deshalb ist es ein Mi�verst�ndnis, von Unterdr�ckung oder Verdr�ngung zu sprechen. Das liegt an einem mangelnden Verst�ndnis daf�r, was es mit der wirklichen spirituellen Suche auf sich hat. Wenn man es richtig versteht, wird man nicht so dar�ber sprechen. Wir sind nicht einfach Menschen, wir sind mehr als Menschen. Unsere Erscheinungsform als Menschen ist nur ein schwacher Widerschein dessen, was wir in Wahrheit sind. Der einzige Grund, warum unsere Erscheinungsform als Menschen von Bedeutung und Wichtigkeit ist, besteht darin, da� sie uns, wenn sie richtig verwendet wird, erhebt und dahin bringt, wohin wir eigentlich geh�ren, in das K�nigreich - auf das wir ein Geburtsrecht haben.
Doch ist die Vorstellung im Westen, da� Brahmacharya Unterdr�ckung ist, zumindest in einer Hinsicht nicht ganz abwegig. Wenn ein nat�rliches Potential unterdr�ckt oder verdr�ngt wird, kann das unerw�nschte Ver�nderungen in der Pers�nlichkeit hervorrufen. Wenn Brahmacharya einem Menschen gegen seinen Willen und gegen seine �berzeugung aufgezwungen wird, k�nnen daraus nat�rlich abnorme Zust�nde resultieren, weil der Mensch dazu veranla�t wird, etwas zu tun, was er oder sie tief im Inneren nicht tun will - gezwungen von anderen, von sozialen Zw�ngen oder durch das Ablegen von Gel�bden, die er oder sie nicht h�tte ablegen sollen, ohne vorher genau und gut �berlegt zu haben, was damit verbunden ist.
Wenn aber ein intelligenter Mensch die gesamte Situation des Lebens gut durchdacht hat, sich sagt: "Wenn ich etwas Gro�es und M�chtiges erreichen will, kann ich es mir nicht leisten, die mir zur Verf�gung stehenden Energien zu verschwenden. Je mehr ich sie bewahre, desto mehr kann ich sie f�r diese Absicht einsetzen, und desto besser sind die Chancen auf Erfolg." Wenn der Mensch so denkt und die rationale Seite dessen verstanden hat, und wenn die h�chste Errungenschaft, zu der er strebt, ihm das wert ist, wenn er oder sie aus freiem Willen, mit voller Absicht und gro�er Begeisterung zum Z�libat schreitet, wo ist dann Unterdr�ckung? Ganz im Gegenteil, das, was als Selbstverleugnung erscheint, gibt effektiv einer h�heren Dimension unseres Wesens Ausdruck, in die man sich jetzt begeben hat. Also weit davon entfernt, darauf zu verzichten, sich selbst Ausdruck zu verleihen, gibt es dem Menschen seinen vollen Ausdruck, da er sich nicht l�nger mit dem geringeren Aspekt seiner Gesamtpers�nlichkeit identifiziert. Er identifiziert sich mit dem h�heren Aspekt. Es ist eine Art Befreiung und Entwicklung hin zu einem h�heren Niveau. Es ist etwas Positives, Kreatives und nicht etwas Negatives. Es ist kein Verneinen, sondern effektiv ein Ausdruck seiner selbst.
Wenn das so gesehen wird, irren Freud und die anderen. Sie haben eine solche Situation oder M�glichkeit nie erwogen. Und es ist nicht nur eine M�glichkeit, es ist eine Jahrhunderte oder Jahrtausende alte Tradition - f�r jemanden, der bereit ist, alles zu tun, alles zu geben und jeden Preis daf�r zu bezahlen, um das H�chste zu erlangen.
Frage: Warum l��t Ihrer Meinung nach schon allein der Gedanke an das Z�libat die Menschen im Westen heute oft mit Zorn oder Entr�stung reagieren?
Swami Chidananda: Ich w�rde sagen, Andrew Cohen w�re besser in der Lage und kompetenter, diese Frage zu beantworten, als ich, f�r den diese Frage akademisch und theoretisch ist, w�hrend es f�r ihn ein wirklicher Erfahrungswert ist. Vielleicht ist dieses Konzept f�r diese Menschen unannehmbar, weil es ihnen das Streben nach Vergn�gen verwehren w�rde, dem hedonistischen Ansatz in ihrem Leben. Es ist etwas, das westliche Menschen normalerweise nicht h�ren m�chten. Es widerspricht ihrem Lebensstil. Wenn sie das Gef�hl vermittelt bekommen, etwas Unsinniges zu tun, f�hlen sie sich schuldig. Es ist ihnen sehr unangenehm, und sie werden nat�rlich zornig. Ich bin sicher, es gibt auch Menschen, die meinen, das Z�libat sei gegen das Gebot der Bibel zur Fortpflanzung. Wenn man also �ber Brahmacharya in seiner extremen Bedeutung spricht, scheint man gegen das Gebot Gottes zu predigen.
Frage: : Tantra, die Praxis von "heiligem Sex", wird heutzutage im Westen sehr stark. Meinen Sie, da� diese Lehren einen authentischen spirituellen Weg anbieten?
Swami Chidananda: Nein, ich glaube nicht, da� diese Lehren einen authentischen spirituellen Weg anbieten. Warum? Weil die Menschen schwach und beeinflu�bar sind. Der menschliche Geist ist so beschaffen, da� er immer den Weg des geringsten Widerstandes nimmt. Er m�chte immer den leichten Weg.
Tantra ist eine Methode, um mit Hilfe aller m�glichen Sinnenfreuden zu Gott zu kommen. Alles wird Gott hingegeben, und so wird alles heilig; nichts ist profan. Der Mensch genie�t die Sinnesbefriedigung und sieht sie noch dazu als Teil der g�ttlichen Wonne. Es gibt einen Standpunkt, und der ist auch nicht ganz von der Hand zu weisen, der sagt, da� in jeder menschlichen Erfahrung Dualit�t bestehen bleibt - es gibt das Gef�hl von "Ich genie�e dieses Objekt" -, und in der ultimativen sexuellen Erfahrung zwischen einem wirklich liebenden Mann, der die Frau sehr liebt, und wenn dieses Gef�hl von der Frau vollst�ndig geteilt wird, gibt es kein Bewu�tsein der eigenen Individualit�t. Es kommt zu einem totalen Verschmelzen des getrennten Bewu�tseins ineinander, und es besteht nur das Bewu�tsein der Erfahrung. Niemand erlebt. Es hei�t, das w�re m�glich, wenn es in Vollendung ausgef�hrt wird. Die zwei h�ren auf zu bestehen und es bleibt nur eins, eine nichtduale Erfahrung, eine absolute Erfahrung, ein Bewu�tsein von Brahman. Es hei�t also, der menschliche K�rper w�re ein Werkzeug, das bei richtiger Verwendung dazu verhelfen kann, sich �ber das K�rperbewu�tsein zu erheben
F�r einen unter einer Million trifft das vielleicht zu.
Das Streben nach Genu� ist Teil der westlichen Sicht des Lebens - nicht das Verneinen des Vergn�gens. Und einer von zehn Lehrern ist vielleicht auch ein authentischer Lehrer, der es ernst meint und etwas anbietet, das dem westlichen Temperament entspricht. Aber neun von ihnen sind berechnende Leute. Sie wissen, da� ein Markt daf�r vorhanden ist, und stellen sich darauf ein. Die Methode ist: Du kannst deinen Kuchen haben, und essen kannst du ihn auch.
Es darf allerdings nicht vergessen werden, da� es fr�her einmal in Indien ein authentischer Pfad war, speziell im �stlichen Teil. Es gibt ihn auch jetzt noch. Aber er wurde grob verzerrt. Die Menschen verfingen sich darin. Sie sagten, sie w�rden Tantra praktizieren, aber es war nichts anderes als Wein, V�llerei und sexuelle Befriedigung. Es f�hrte sie nirgendwohin, aber ich nehme an, es f�hrte sie dorthin, wohin sie wollten. Die Methode wurde damals von erleuchteten Menschen auch der "pervertierte Pfad" genannt. Es entstanden zwei Wege: der authentische Pfad, er wurde der "rechtsh�ndige Pfad" genannt, und der pervertierte Pfad, bei dem es nur um den Genu� ging. Er wurde der "linksh�ndige Pfad" genannt.
Es gibt eine Episode aus dem Leben von Sri Ramakrishna, dem Guru von Swami Vivekananda. Er praktizierte alle Yogapfade und auch Christentum, Islam und andere und stellte fest, da� alles letztendlich zur selben Erfahrung von Gott f�hrte. Und in einer Phase seines spirituellen Lebens praktizierte er auch Tantra. Eine Tantrafrau kam zu ihm und sagte: "Ich bin von Gott hierher gesandt worden, um dich in die tantrische Methode einzuweihen, um zu Gott zu gelangen." Tag um Tag legte sie die Methode des Tantra dar. Als sie in die Schlu�phase kam, sagte Ramakrishna, der auf Brahmacharya schwor, da� es durch diesen K�rper unm�glich ist. Also sagte sie: "Dann werde ich das Ganze vor dir inszenieren." Also nahm sie einen Tantramann und eine Tantrafrau, um den endg�ltigen Vollzug der Praxis vor ihm darzustellen. Er sah Schritt f�r Schritt zu, und sie erkl�rte ihm: "Schau genau. Jetzt siehst du, wie sie in Ekstase sind; sie sind ekstatisch. Sie verlieren das Bewu�tsein." Und an diesem Punkt verlor Ramakrishna pl�tzlich jedes Bewu�tsein. Er ging in tiefen Samadhi (ein wonnevoller Zustand nichtdualen Bewu�tseins). So bewies er sich selbst aus zweiter Hand, da� diese ultimative sexuelle Erfahrung den Menschen in diesen Zustand des nichtdualen Bewu�tseins erheben kann.
Die Wissenschaft als solche gibt es also, aber es gibt sehr wenige authentische Gurus, und die Praxis mu� unter der pers�nlichen Anleitung eines echten Gurus genauestens befolgt werden. Wahrscheinlich wird man mich der Unbarmherzigkeit bezichtigen, aber ich glaube, da� die meisten, die diesen modernen heiligen Sex propagieren, daran interessiert sind, f�r sich selbst daraus Profit zu schlagen. Wie ich schon sagte, die Sexualkraft ist etwas Heiliges; sie ist heilig. Sie ist eines der heiligsten Dinge �berhaupt. Aber heiliger Sex ist eine irref�hrende Bezeichnung. Sobald man in der Sexualit�t h�ngen bleibt, sagt man der Heiligkeit Ade. Das ist so, weil die Menschen schwach sind. Deshalb bef�rworte ich es nicht.
Frage: Meinen Sie angesichts der zahlreichen Entgleisungen und Fehltritte von Menschen, die das lebenslange Enthaltsamkeitsgel�bde abgelegt haben, sowohl im Westen als auch im Osten, da� diese Praxis eventuell auf Menschen beschr�nkt sein sollte, die schon einen bestimmten Grad an spiritueller Reife erreicht haben?
Swami Chidananda: Diesen Standpunkt w�rde ich nicht zu hundert Prozent teilen, denn es ist ganz sicher so, da� Menschen, die �ber einen bestimmten Grad an spiritueller Reife verf�gen, diese zuerst einmal wenigstens zum Teil aufgrund von Brahmacharya erreicht haben. Allein die Tatsache, da� sie einen gewissen Grad an spiritueller Reife erlangt haben, zeigt, da� Brahmacharya, zumindest in seiner weiteren Bedeutung, Teil ihrer Natur oder Teil der Methode war, mittels welcher sie zu diesem Grad von Reife gelangt sind. Und ich z�gere nicht zu sagen, da� die Verfehlungen und Fehltritte, von denen ihr sprecht, den Wert des Konzepts und die Tradition von Brahmacharya in keiner Weise zu schm�lern verm�gen. Sie sind einzig und allein auf die Unvollkommenheit des Menschen zur�ckzuf�hren.
Andererseits mu� ein Mensch, der ein lebenslanges Entsagungsgel�bde ablegt, sicher sein, da� er dazu berufen ist; es mu� ein innerer Ruf zu diesem Leben und zum Aufnehmen des Z�libats vorhanden sein. Es kann nicht eine Entscheidung sein, die auf einem Gef�hl und auf emotionaler Euphorie beruht, es ist vielmehr ein Urteil, das durch eine rationale und logische Einsch�tzung dieses Lebens getroffen wurde. Des weiteren bestehe ich darauf, da� ein Mensch kein M�nchsgel�bde ablegen sollte, solange er nicht alt genug ist, um seine Biologie zu verstehen, und die Erfahrung dessen gemacht hat, was in seinem Inneren vorgeht und womit er sich auseinanderzusetzen hat. Man mu� sich damit ehrlich auseinandersetzen. Ich w�rde auch vorschlagen, da� ein Mensch das lebenslange Enthaltsamkeitsgel�bde erst dann ablegen kann, wenn er eine Zeitlang beobachtet und gef�hrt worden ist. In der Ramakrishna-Mission zum Beispiel ist ein Mensch ein volles Jahr lang im Vornovizenstadium. Darauf folgt ein mindestens acht Jahre dauerndes Noviziat. Erst dann ist er dazu berechtigt, darum zu bitten, ein wirklicher Swami zu werden. Diese Art der Aufnahme, des Siebens und Beobachtens w�rde vielleicht viele dieser Fehltritte und Verfehlungen verhindern. Einem Menschen wird erst nach einer bestimmten Phase im spirituellen Leben gestattet, das Gel�bde abzulegen. Und trotzdem, auch wenn alle Bedingungen, von denen ich gesprochen habe, erf�llt wurden, ist noch immer extreme Vorsicht geboten, so lange, bis eine Phase erreicht ist, wo Brahmacharya zum normalen und nat�rlichen Zustand des Menschen geworden ist.
Brahman, das Absolute, ist der h�chste Brahmachari, denn Es ist eins ohne ein Zweites, und wenn man in Brahman fest verwurzelt ist, befindet man sich in eben diesem selben Zustand - wo es kein Zweites gibt, wo es nichts anderes gibt. Es kommt eine Phase, wo man absolut frei und ohne sexuelle Gedanken ist. Es gibt nicht Sex oder Mann oder Frau oder dies oder das, weil sich die Sichtweise ge�ndert hat. Ganz getrennt von allem, was um ihn herum ist - die Welt, in der er lebt - hat sich der Mensch vollst�ndig ver�ndert. Das Bewu�tsein ist nicht mehr auf dieser Ebene, wo diese Dinge wichtig und von Bedeutung sind. Wenn sich das Bewu�tsein an einem anderen Ort befindet, dann sieht man zwar die Dinge, man nimmt sie wahr, aber sie sind uninteressant. Man sieht dies und man sieht jenes; man sieht alles, aber es kommt dadurch zu keiner Ver�nderung im Bewu�tseinszustand, der immer derselbe bleibt. Das ist die letztendliche Transzendenz, eine M�glichkeit und ein Ideal, die man anstreben und erreichen mu�. Das w�nscht der Guru f�r den Sch�ler. Das w�nscht der Heilige f�r den normalen Menschen. Aber bevor es soweit kommt, besteht immer das Risiko zu fallen. Deshalb sagen unsere Heiligen, da� bis zum letzten Atemzug Vorsicht geboten ist.
Frage: Was ist der Schl�ssel zum Erfolg in Brahmacharya?
Swami Chidananda: Es kommt darauf an, wie du es betrachtest!
Zuerst einmal kommt es darauf an, wie man es versteht. Brahmacharya bedeutet, die Richtung zu �ndern, sich auf ein h�heres Ziel auszurichten und das fundamentale Basisenergiepotential des Universums, das im Individuum anwesend ist, zu nutzen. Es ist der individualisierte und mikrokosmische Aspekt der unbegrenzten, unendlichen kosmischen Urkraft, welcher der makrokosmische Aspekt, der dynamische Aspekt der einen, nichtdualen Realit�t ist. Bekanntlich ist der statische Aspekt Brahman, die transzendentale nichtduale Realit�t. Und der kinetische oder dynamische Aspekt ist dasselbe in Manifestation oder im Ausdruck, in Bewegung.
Der individualisierte Aspekt dieser Urkraft, der in allen Wesen ist, ist dieses Potential f�r das ungebrochene Weiterbestehen der Existenz. Dieses Potential ist praktisch �berall. Der blo�e Umstand, da� man in der Lage ist, es zu beschreiben, zu definieren und mit Begriffen der modernen Physik oder Chemie zu erkl�ren, ver�ndert in keiner Weise die tats�chliche metaphysische oder philosophische Tatsache seiner wahren Natur. Physikalisch ist es vielleicht mit Begriffen von Druck etc. zu erkl�ren, aber das ist nichts als eine Erkl�rung f�r etwas, das bereits ein transformierender kontinuierlicher Proze� von Sein und Werden, Sein und Werden ist. Dieses sch�pferische Potential, die Sch�pfungskraft, ist �berall im Pflanzen- und im Tierreich vorhanden. Es ist nichts anderes als das, was sich als all die verschiedenen Kr�fte im Menschen manifestiert - die Kraft zu handeln, die Kraft zu denken, die Kraft zu sehen, zu h�ren, zu riechen, zu schmecken, zu verdauen, zu atmen - alles. Und genau das ist auch in beiden Geschlechtern als sexuelle Energie vorhanden. Da diese Kraft nun der Schl�ssel des Lebens ist, ist ihre Bedeutung leicht einzusehen, und man kann sich auch vorstellen, von welch hoher Qualit�t sie ist.
Wenn man es so verstehen kann - d.h. die wahre heilige kosmische Natur als mikrokosmischen Aspekt der makrokosmischen Shakti erkennt -, nimmt man diesem Ph�nomen gegen�ber eine gesunde Haltung der Verehrung ein. Es ist nicht etwas, was man einfach ausspuckt. Kleingeld mag man vielleicht ohne weiteres ausgeben, wenn man aber Goldm�nzen hat, trennt man sich nicht so leicht von ihnen. Ehrfurcht ist also die Frucht dieses Verstehens. Au�erdem erkennt der Suchende und sieht klar: "Da gibt es f�r mich etwas sehr Wichtiges zu tun. Ich habe ein gro�es Ziel zu erreichen, und ich brauche alle Energie, die mir zur Verf�gung steht, f�r mein spirituelles Streben. Ich kann es mir nicht leisten, sie in andere Kan�le flie�en zu lassen, um ein geringeres Ziel zu erreichen." Mit den Worten von Swami Krishnananda: "Es ist besser, auf einen L�wen zu zielen und ihn zu verfehlen, als auf einen Schakal und ihn zu treffen."
Der erste Schl�ssel zum Erfolg in Brahmacharya besteht also darin, das Heilige und Wertvolle des vorhandenen Energiepotentials zu erkennen und zu verstehen. Wenn man klar erkannt hat, da� es dazu da ist, bewahrt, erhalten und zum Allergr��ten gelenkt zu werden, das man erlangen kann, dann hat man den Wunsch, Brahmachari zu sein. Dann wird es als etwas h�chst Positives gesehen.
Ein zweiter Schl�ssel zum Erfolg und eine M�glichkeit, sowohl Brahmacharya als auch Sexualit�t zu betrachten, ist sogar noch grundlegender, und es handelt sich dabei um einen der beiden Faktoren, die ich weitgehend selbst angewandt habe. Es ist das klare Erkennen, da� in allererster Linie das, was man als das m�nnliche Geschlechtsorgan bezeichnet, �berhaupt kein Geschlechtsorgan ist. Es ist nichts anders als ein Rohr zur Harnausscheidung. Das ist es, und das ist seine Hauptfunktion von dem Augenblick an, wenn das Kind den Mutterscho� verl��t, bis ins Grab.
In der Tat ist Sex genaugenommen nicht eigentlich Teil unserer Anatomie. Sex ist nicht im Harnausscheidungsorgan; Sex ist im Geist des Menschen. Es ist also eine Frage der geistigen Einstellung. Wenn man davon �berzeugt ist und der Geist darauf trainiert wird, es gesund und rational zu sehen - dieses Organ ist nur etwas zum Ausscheiden; sein Hauptzweck ist nicht der, der die Welt beherrscht und verr�ckt macht - dann ist man bereits frei davon. Es �bt dann keine Obsession mehr aus, weil man es dann nicht so sieht, wie der Gro�teil der ungl�cklichen menschlichen Gesellschaft es zu sehen veranla�t wurde.
Wenn man dar�ber nachdenkt, dann ist die Hauptfunktion des Geschlechtsakts der h�chst wichtige und unerl��liche Proze� der Fortpflanzung. Von einem h�heren metaphysischen Standpunkt aus gesehen kooperieren Mann und Frau mit dem Sch�pfer zur Erhaltung der Art, damit die Sch�pfung fortbestehen kann. Das ist die Hauptfunktion, nicht die Erfahrung von Genu�, die damit verbunden ist. Das ist eine sekund�re Erscheinung. Warum wurde diese Erfahrung also so genu�voll gemacht? Es mu�te so sein. Die Funktion der Fortpflanzung, das Weiterbestehen der Art ist durch den Geschlechtsakt garantiert, und wenn dieser nicht mit einer Supererfahrung von Freude und Genu� kombiniert w�re, h�tte sich niemand daf�r interessiert, und er h�tte seinen Zweck verfehlt. Also kombinierte Mutter Natur in ihrer �bergro�en Weisheit die beiden Dinge.
Eine Interview mit Swami Chidananda von
Bill Eilers und Susan Eilers
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