Forscher sehen Anzeichen für Hitzespirale
Die Erde schrieb am 12. Oktober 2004 um 17:23 Uhr (435x gelesen):
Die Erde könnte am Beginn eines galoppierenden Treibhauseffekts stehen. Der Kohlendioxid-Gehalt der Atmosphäre ist in den vergangenen zwei Jahren sprunghaft gestiegen, wie neue Messungen ergaben. Forscher vermuten, dass Ozeane und Wälder ihre Grenzen als Klimagas-Schlucker erreicht haben.
Verlieren Ozeane und Wälder ihre Funktion als Bremsklotz der Erderwärmung? Schlucken sie nicht mehr genügend Kohlendioxid? Messungen aus dem Pazifik schüren diese Befürchtung. Danach stieg der CO2-Gehalt der Erdatmosphäre sowohl 2002 als auch 2003 ungewöhnlich stark an.
Die mittlere Luftkonzentration des wichtigsten anthropogenen Treibhausgases liegt heute bei knapp 0,4 Promille oder 370 Teilen pro Million (ppm), wie Atmosphärenchemiker sagen. Das bedeutet: Auf eine Million Teilchen kommen durchschnittlich rund 370 Kohlendioxid-Moleküle. Zu Beginn des Industriezeitalters waren es noch 275.
Weil die Welt weiter kräftig fossile Energieträger wie Kohle, Öl und Gas verfeuert und dabei CO2 entsteht, nimmt die atmosphärische Kohlendioxid-Konzentration kontinuierlich zu: Im Mittel wächst die CO2-Menge nach Angaben des US-amerikanischen Carbon Dioxide Information Analysis Center (CDIAC) um 1,1 ppm pro Jahr.
Doch jetzt knickt die Messgerade steil ab, und zwar nach oben: In den Jahren 2002 und 2003 nahm der Kohlendioxid-Gehalt jeweils sprunghaft zu, zunächst um 2,1, danach sogar um über 2,5 ppm.
"Kohlenstoff-Senken" laufen voll
Ein solcher Zuwachs in zwei aufeinander folgenden Jahren sei "ein Phänomen" und zugleich "ein Grund, besorgt zu sein", sagte Charles Keeling, einen Pionier auf dem Gebiet der atmosphärischen CO2-Messungen, der britischen Zeitung "The Guardian". Der US-Forscher und Geochemiker kann sich vorstellen, dass die globalen "Kohlenstoff-Senken" allmählich vollaufen, sprich: dass Ozeane und Vegetation es nicht mehr schaffen, zumindest einen Teil des von Menschen freigesetzten Kohlendioxids zu binden.
Grüne Pflanzen brauchen CO2 bekanntlich für die Photosynthese; für sie ist das Spurengas Lebenselixier und Düngemittel. Auch das Meer schluckt Kohlendioxid: Es wird gelöst, auf chemisch-physikalischem Weg in Kohlensäure und Karbonate umgewandelt und schließlich in tiefere Wasserschichten verfrachtet.
Keeling begann schon 1958 mit regelmäßigen Messungen des Kohlendioxid-Gehalts der Atmosphäre - und zwar im Pazifik, auf dem größten Vulkan der Welt, dem Mauna Loa auf Hawaii. Von dort stammen auch die neuen, erschreckenden Daten aus 2002 und 2003. Hawaii gilt als idealer Messpunkt: Die Insel ist fern und deshalb unbeeinflusst von den großen CO2-Quellen auf den Kontinenten. So spiegeln die Werte der Mauna-Loa-Station zuverlässig die mittlere Hintergrundkonzentration des langlebigen Treibhausgases Kohlendioxid in der unteren Atmosphäre wider.
Deutsche Klimaforscher halten Keelings Schlüsse für voreilig. "Eine Zeitreihe von zwei Jahren ist zu kurz, um auf einen Trend zu schließen", mahnt etwa Mojib Latif, Professor für Meteorologie an der Universität Kiel und Klimaforscher am dortigen Leibniz-Institut für Meereswissenschaften. Ohnehin besitze der globale Kohlenstoff-Kreislauf eine große Variabilität, starke Jahresschwankungen in der CO2-Zunahme seien durchaus möglich.
Angst vor der Hitzespirale
Der Schweizer Physiker Martin Heimann erinnert daran, dass 2002 und 2003 jeweils sehr heiße Jahre gewesen seien. "Der mikrobielle Abbau von Kohlenstoff in Böden ist dann verstärkt, wodurch mehr CO2 frei wird", so der geschäftsführende Direktor am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena. Außerdem, schlägt Heimann vor, "müsste man sich die Waldbrand-Statistiken für die betreffenden Jahre genau anschauen". Denn auch solche Ereignisse sorgten für beträchtlichen CO2-Nachschub in der Atmosphäre.
Heimann hat das in eigenen Arbeiten zeigen können. Zusammen mit anderen Experten für Stoffkreisläufe machte er sich in einer Studie daran, die großen Kohlenstoffquellen und -senken auf dem Erdball in ihrer Stärke zu bilanzieren. Das geschah unter anderem für das Jahr 1998. Damals gab es am Mauna Loa schon einmal einen erstaunlichen Ausreißer in der Messserie: Kohlendioxid legte binnen eines Jahres sogar um 2,9 ppm zu.
Heimann und seine Kollegen können sich heute erklären, warum: Wie die Datennachbearbeitung ergab, standen riesige Waldbestände in Ostsibirien zu jener Zeit in Flammen. "Die Waldbrände haben sicher einen großen Beitrag zu dem starken CO2-Signal geleistet", sagt Heimann. "Es kommt bestimmt nicht von einem Jahr auf das andere plötzlich zu einer Sättigung der Kohlenstoff-Senken." Dies sei ein schleichender Prozess.
Doch sicher ist auch: Irgendwann stoßen die CO2-Deponien Meer und Vegetation an ihre natürlichen Grenzen. Nur wann? "Aus unseren Messungen und Modellen ergibt sich, dass das noch 20 oder 30 Jahre dauern kann", lautet Heimanns Antwort.
Spätestens dann steht zu befürchten, dass sich der Treibhauseffekt verselbständigt und es zu einer "positiven Rückkopplung" im Klimasystem kommt: Immer mehr Kohlendioxid in der Außenluft lässt die Temperaturen weiter steigen, Bäume und Böden geben unter wachsendem Hitzestress ihren zusätzlich gebundenen Kohlenstoff in Form von CO2 wieder frei, was wiederum den Treibhauseffekt forciert - eine Hitzespirale setzt ein.
Einen Dämpfer für alle, die zu sehr vom Glauben an die Naturdeponien beseelt sind, gab es schon im vergangenen Winter. Da veröffentlichte das Fachmagazin "Science" eine Studie von Biologen aus drei US-Forschungsstätten. Die Autoren schildern darin, dass Bäume mit dem zusätzlichen CO2-Dünger in der Atmosphäre nur bedingt etwas anfangen können: Es fehlt ihnen schnell an anderen mineralischen Nährstoffen, die sie dann ebenfalls in erhöhtem Maße benötigten.
Kohlendioxid allein lässt die Wälder nicht üppiger wuchern, so das Fazit von Christopher Field, Direktor der Abteilung für Globale Ökologie an der Carnegie Institution in Washington: "Wir sollten nicht darauf setzen, dass natürliche Ökosysteme den Klimawandel entscheidend aufhalten."
LG
Die Erde

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- Forscher sehen Anzeichen für Hitzespirale ~ Die Erde - 12.10.2004 17:23 (1)