re[3]: DIe unmöglichkeit Sich selbst zu hinterfragen.
naurmel * schrieb am
30. Januar 2012 um 13:34 Uhr (1753x gelesen):
Ich lese viel über ein "künstliches Ich", eine virtuelle Vorstellung eines Ich-Bewusstseins, damit sich der Verstand auf einen Ort fixieren kann. Meintest Du das?
So nach dem Motto: "Der Betrachter muss einen Ort einnehmen, damit er den Raum betrachten kann." Und als Analogie dazu die Ich-Vorstellung, um die Wahrnehmung und eigene Existenz in einen Bezug zu stellen.
Gäbe es kein Ich, dann könnte ich auch kein Du oder Wir denken.
Ganz klar, wir erschaffen uns diese Vorstellung selbst, bzw. bekommen wir auch eine Portion davon von unseren Eltern oder Geschwistern beigebracht. Bei kleinen Kindern wird das "Ich" und "Du" gerne spielerisch ausgelotet. Und eine feste Vorstellung unseres Ichs in Form einer Persönlichkeit bilden wir erst in der Pubertät. Das hört aber nicht auf, wir können unser ganzes Leben lang damit beschäftigt sein, unsere Ich-Form zu erstellen oder zu formen.
Die Frage stellt sich mir da schon: wie sinnvoll ist das? Eine Grundvorstellung von "Ich" ist bestimmt lebenswichtig. Sonst würde es Menschen geben, die das nicht ausbilden. Ich kenne keine Sprache, die ohne personelle Unterscheidung auskommt. Tiere haben auch eine Vorstellung ihres Ichs.
In Buddhistischen Texten lese ich häufig davon, die Vorstellung des Ichs aufzugeben und im absoluten Gewahrsein zu verweilen. Das wird dann auch gerne als die Zerstörung des Egos bezeichnet. Ich (!) sehe das anders. Ohne Ego gäbe es keinen Wunsch nach Praxis. Und ohne Ich-Vorstellung gäbe es keine Persönlichkeit. Ohne Ego oder Persönlichkeit gibt es keine persönliche Entwicklung. Und ohne diese Entwicklung gäbe es keine Möglichkeit, im Gewahrsein zu verweilen.
Das ist vielleicht auch ein Übersetzungsproblem. Es geht in keinem Fall darum, seine Ich-Vorstellung abzulegen. Auf jeden Fall geht es darum, sich der Virtualität dieser Vorstellung bewusst zu werden. Wenn ich jederzeit darüber im Klaren bin, dass mein "ich" nur eine Illusion ist, kann ich viel entspannter mit dem Ich umgehen.
Wenn das dann bedeutet, dass ich mein "Ich" hinterfragt habe, dann bin ich ganz bei Dir. Mich hat nur der Begriff Hinter-fragen gestört.
Und natürlich ist das möglich. Sobald Du es schaffst, Gedanken völlig ohne "Ich" zu formulieren, sobald Du die Welt so betrachtest, dass Du die Beobachter-Position aufgibst und in der Welt bist, kann für einen kleinen Moment das Ichlein an der Garderobe abgegeben werden.
Es gibt auch eine Übung, welche angeblich direkt das Ich ausmacht: 100.000 Mal niederwerfen und dazu das sechssilbige Mantra sprechen. Das habe ich (!) noch nicht ausprobiert.
Liebe Grüße
naurmel
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Beitrag zuletzt bearbeitet: 30.1.2012 14:36
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