Leseproben aus Zeitschriften


 

Rendezvous mit einem Meister:
Paramahamsa Hariharananda


Wien 19, ein schlichtes Haus in der Suttingergasse. Nur noch eine helle, unscheinbare Tür trennt mich von ihm. Eine, wie ich schon tausende geöffnet habe, aber diesmal liegen die Dinge anders. Dies ist kein Interview, sondern eine Chance. Haben sie mir zumindest zu erklären versucht, seine Schüler. Und fast ehrfürchtig von seinen Blicken geschwärmt, die angeblich bis in die Spinnenwinkel der menschlichen Geheimnisse dringen. Und wenn er wirklich Gedanken lesen kann, wird er wissen, daß ich mir bei den Geschichten über ihn meinen Teil gedacht habe. Ich registriere eine dünne Patina Schweiß auf meiner Haut. Liegt wahrscheinlich an der Hitze. Schön cool bleiben, denke ich mir, mache auf - und stehe vor ihm. Dem ersten indischen Meister, den ich leibhaftig sehe. Er sitzt ruhig auf der Bettkante, den Rücken gerade, seine Ausstrahlung übertrifft die der Blumen, die um ihn versammelt sind. Noch bevor ich zu meiner halbherzig vorprogrammierten Verbeugung komme, hat Hariharananda meine Hand fest in seiner. Als wir sitzen, ist kein halber Meter mehr zwischen unseren Augen. Ich starre ihn an. Er blickt nur, aber ein Scheinwerfer strahlt mich dabei an. Jetzt ist mir wirklich heiß, aber innen. Die acht Fragen, die ich vorbereitet habe, schmelzen in meinem Kopf zu einer einzigen - und sogar die verliert sich erst mal wie Räucherstäbchenrauch. Der Meister lächelt mich an. Es ist schön, sein Lächeln. Alt und jung zugleich, weise und irgendwie ewig. Auch sein Gesicht: ganz anders als die verwitterten Masken in den Straßenbahnen. Ich schäme mich plötzlich für die Hälfte meiner Vorurteile - und kralle mir die zweite Hälfte umso fester. Er hingegen ist offen, einfach nur da. So sehr, daß ich mich dabei selbst entspanne. Dabei sind noch keine zwei Minuten vergangen. Gut, daß ich die Fragen auf einem Spickzettel habe.

Erste Annäherung

Das Leben selbst braucht keine Notizen. Es spickt mit Ereignissen, die man vorschnell mit Zufall übersetzt, ohne die Linie dahinter zu sehen. Vor Jahren hatte ich fasziniert die Autobiographie eines Yogi gelesen, einen Klassiker über den östlichen Zugang zu Gott. Autor ist ein gewisser Paramahamsa Yogananda, selbst ein Meister und indirekt Vorgänger von Hariharananda. Das wiederum erfuhr ich von einer Freundin, die mich spontan zu dessen 90er-Feier ins Haus der Begegnung in Wien-Floridsdorf eingeladen hatte. Gut 200 seiner österreichische Schüler, von denen die meisten weiß tragen, waren gekommen, im lockeren Yogasitz und mit indischen Liedern auf den Lippen der Ankunft des Meisters zu harren. Als jemand in ein Muschelhorn blies, stieg die Spannung. Meine Neugierde auch. Dann kam er. Langes, graues Haar, dicke Brille, wallendes Gewand. Nach einigen Songs ihm zu Ehren ergriff Paramahamsa Hariharananda persönlich das Mikro. Satsang nennt sich die Rede eines Meisters. Er hielt sie in Englisch. Erzählte dabei vom Weg nach innen und damit von der Reise zu Gott. Zwischendurch machte er uns auf die Geschmeidigkeit seiner Haut aufmerksam, die dank verjüngendem Yoga nach wie vor wie Butter sei. Überhaupt: Immer wieder blitzte jener Schmäh durch, der all jenen eigen ist, welche die dogmatische Ernsthaftigkeit einer auf Riten und Glockengebimmel beschränkten Religiosität längst durchbrochen haben. Immer wieder auch zitiert er Jesus, Buddha und andere Erleuchtungsprofis. Und weist dabei auf die Dringlichkeit hin, das eigene Leben zu erfüllen. Nicht das eines Meister und auch sonst kein anderes. Hier gehts, merkte ich bald, hauptsächlich um den direkten Weg von A nach B, spirituell gesehen. Die Frage dabei: Wie schaffe ich es, zur großen Quelle zu kommen? Laut Vortrag nur mit Hilfe von Disziplin, Meditation - und einem waschechtem Meister.

Der Meister 

Das Wort Guru kommt aus dem Indischen und bedeutet einfach: Wegweiser ins Licht. Aber es ist auch ein inflationärer Begriff. Es gibt eine Menge Jungs, die ihren Job mißbrauchen. Die Kreditkartennummern verlangen und Ergebenheit bis zum Selbstmord. Es gibt aber auch die anderen. Die Minderheit, Meister mit der einen, bestimmten Message: Leute, folgt dem Ruf eures eigenen Herzens. Macht eure Jobs auf dieser Welt, aber spürt dabei auch, daß Gott euch ziemlich gern hat. Mit jedem Atemzug. Ungefähr das waren auch die letzten Worte, die Hariharananda an diesem Abend sprach. Applaus, Tränen, Freude. Eine angenehme Vibration im Raum. Um Punkt zehn war Schluß. Der Mann ist Frühaufsteher. Arbeitet trotz seines Alters wie ein kosmisches Pferd. Seit vier Jahren ist er jeden Sommer in Wien, seinem Lieblings-Ashram in Europa. Ich fand meine Schuhe unter den vielen anderen, fuhr nach Hause und fühlte mich berührt. Schon einen Tag später war das nette Gefühl wieder beim Teufel, die Zweifel hatten das Ruder, aber der Journalist in mir die mögliche Lösung: ein Privatdate mit ihm, um die Spannung zwischen Kopf und Feeling zu beseitigen. Der Rest war Grundrecherche: Der Mann wurde 1907 in der Nähe von Kalkutta geboren. Schon seit jungen Jahren Mönch, bereist er seit 1974 die Welt, um Ashrams zu gründen und den authentischen Kriya Yoga zu lehren. Meditationstechniken, deren Wurzeln sich in grauer Vorzeit verlieren. 

Offenbarung

Meine erste Frage: „Was ist Gott?"

„Gott," erklärte der alte Mann mit den jungen Augen, „ist allesdurchdringend, allwissend und allmächtig. Er ist in jedem Menschen. Nachdem Er das gesamte Universum und den Mann und die Frau geschaffen hatte, ist Er in seine Schöpfung eingetreten. Er verbirgt sich im gesamten Körper aller Menschen und im gesamten Universum. Alles ist Gott. Weil Sie vernünftige Wesen sind, sind alle Menschen für die Gottesverwirklichung geboren. Tiere können Gott nicht verwirklichen." „Wenn dem so ist, warum haben dann nicht alle Menschen den Wunsch Gott zu erkennen?" „In jedem menschlichen Körper sind drei Körper: der grobstoffliche Körper, der voll von Illusionen, Täuschungen und Fehlern ist. Der astrale Körper, der das Wissen, das Bewußtsein, das höchste Bewußtsein und das kosmische Bewußtsein kennzeichnet. Über diesen beiden Körper ist der kausale Körper, unsere Weisheit, der Grund für alles, der in der Fontanelle verbleibt. Die Weisheit kann nicht durch die fünf Sinnesorgane realisiert werden, sie kann nur durch den Atompunkt wahrgenommen werden, der in der Fontanelle ist. Gott atmet ein und deshalb ist der grobstoffliche Körper lebendig. Der Atem ist unser Leben. Das Leben ist unsere Seele, welche zwischen der Hypophyse und der Fontanelle ist. Das ist Weisheit. Der grobstoffliche Körper ist voller Verlockungen und die Menschen sind diesen im allgemeinen sehr angehaftet - gut. Aber wir müssen realisieren, daß ohne den kausalen Körper, der höchste, allmächtige Vater, der sich in der Fontanelle (Gehirn) eines jeden Menschen verbirgt, der grobstoffliche Körper nutzlos ist.

Was sind Ihre Lehren?

Ich lehre, daß Arbeit Gottesdienst ist, Kri und Ya. Jeder Mensch verrichtet in seinem Leben fünf Arten von Arbeit, die den fünf Energiezentren in der Wirbelsäule (bekannt als Chakras im Sanskrit) entsprechen, und diese fünf Arten der Arbeit werden durch den Atem aktiviert. Dieser Atem wird von der Spitze im Kopf, der Fontanelle, eingeatmet. Sie verdienen durch den Atem Geld (1. Zentrum). Durch den Atem genießen Sie Sexualität (2. Zentrum). Ohne den Atem haben Sie keinen Appetit (3. Zentrum). Nahrung ist Gott und die Nahrung wächst durch den Atem Gottes, der Luft und den fünf grobstofflichen Elementen. Die Nahrung gibt Ihnen extreme Mannigfaltigkeit und negative Qualitäten, aber wenn Sie ihre Nahrung kontrollieren wird sie Ihnen Gottesverwirklichung geben. In ihrem Herz-Zentrum (4. Zentrum) bringen Sie Freundlichkeit, Herzlichkeit und Liebe sowie Zorn, Stolz und Grausamkeit zum Ausdruck. In ihrem Hals-Zentrum (5. Zentrum) wird die Religion durch den Atem aktiviert.

Was ist Religion?

Das Sanskrit Wort für Religion ist Dharma, was bedeutet: Das, was das Leben aller Menschen, Tiere, Insekten, Pflanzen und Bäume zusammenhält, das ist der Atem. Die Kenntnis und Kontrolle über den Atem ist Religion. Wenn ein Mensch zu dem realisierten Meister kommt, wird er lernen, wie man den Atem kontrolliert. Atemkontrolle ist Selbstkontrolle und Herrschaft über den Atem ist Herrschaft über das Selbst. Der Stillstand des Atems ist der Zustand der Unsterblichkeit.

Welche Art der Atemkontrolle?

Es gibt 50 Arten des Atems, die den 50 Arten der Neigungen entsprechen. Unter diesen Arten sind 49 für die materiellen Vergnügen, und der übrigbleibende eine Atemzug ist für die Gottesverwirklichung. In der Bhagavad Gita 5:27 wird erklärt, wie jemand einen kurzen Atemzug durch die Nase nimmt und fühlt, daß die Ausatmung nicht mehr aus den Nasen1öchern heraustritt. In der Bibel John 3:3,5-6 sagte Jesus: Sie sind vom Fleisch geboren, und deshalb ist Ihr Verstand immer mit dem Fleisch beschäftigt. Dies bedeutet, daß Sex in der materiellen Welt vorherrscht. Sie müssen wiederum von oben durch Wasser und Geist geboren werden. „Über" bedeutet: Die Großhirnrinde im allgemeinen, die Hypophyse und vor allem die Fontanelle. Unsere gesamte Lebensenergie ist dort versteckt. Wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit in der Fontanelle konzentrieren und einen sehr kurzen Atemzug nehmen und die Wirbelsäule gemäß der Kriya Yoga Technik magnetisieren, dann wird Ihr Atem sehr fein sein, und Sie werden Pulsation fühlen sowie die göttliche Schwingung, die von der Fontanelle ausströmt und den gesamten Körper und die gesamte Welt durchdringt. Sie werden göttliches Licht im gesamten Körper sehen sowie die sieben göttlichen Feuer in den sieben Zentren des Körpers. Von tief innen werden Sie den göttlichen Ton hören. Der kurze Atem wird von dem höchsten, allmächtigen Vater eingeatmet. Sie werden wahre Liebe für Gott erhalten. In der Welt gibt es viele Religionen und spirituelle Wege, das ist gut. Aber alle Menschen sollten die wissenschaftliche Kriya Yoga Technik erhalten um Ruhe zu erfahren, so daß sie die eigene Religion wirksamer ausüben können.

Warum sagen Sie das?

Weil Kriya Yoga das Fundament aller Religionen ist, die gemeinsame Straße aller Religionen. Es wird ihnen extreme Ruhe geben und Ruhe ist Göttlichkeit. In jeder ihrer Neigungen müssen Sie ihren Atem lieben. Der Atem ist das Prinzip des Körpers. Seien Sie achtsam gegen zu viele Ablenkungen. Verschwenden Sie Zeit nur mit Gott, dann wird die Zeit nicht verschwendet sein. Ihr gesamtes Leben wird Religion werden, und Ihr gesamtes Sein wird eine lebendige, heilige Schrift sein.

So, was ist Meditation? Was ist das Gebet? Gibt es einen Unterschied zwischen diesen beiden?

In den Schriften steht geschrieben: Meditation bedeutet über den Verstand, Gedanke, weltliche und körperliche Sinne zu gehen. Das bedeutet Sie haben nichts - kein Gefühl des Körpers oder der Welt. Das ist Göttlichkeit. So sind Sie fähig, in der Ruhe aktiv und in der Aktivität ruhig zu sein. Gebet bedeutet nicht, hoch von Gott zu sprechen, aber demütig die Gegenwart Gottes zu spüren. Wenn Sie die lebende Gegenwart Gottes durch Pulsation, Ton und Licht fühlen, beten Sie zu diesem Zeitpunkt demütig: Oh Gott, Du bist in meinem gesamten Körpersystem. Ich bete demütig: Gott gebe mir Göttlichkeit, bewahre meine Arme, Beine, und beschütze meine Familie und Verwandten. Du bist der Retter. Das ist ein wahres Gebet, und dieses Gebet wird Gott erreichen. Bis Sie nicht diese Ebene des kosmischen Bewußtseins erreicht haben, die Tür zur Weisheit, sind Ihre Meditation und ihr Gebet nutzlos.

Und wie erreicht man diese Ebene des kosmischen Bewußtseins?

Nur durch üben, üben und üben. Der Medizinstudent folgt dem Professor und übt weiter und weiter bis er eines Tages selbst ein Doktor wird. Sagen Sie einfach: Du, Du, Du und wenn Sie das nebligweiße, milchweiße Licht sehen, ist dies ihre Meditation, das ist Ihre Göttlichkeit. Jede spirituelle Praxis ist gut, aber Kriya Yoga gibt die Wahrheit der Befreiung. Ich fragte ihn ob es sinnvoll für Menschen im Westen sei, sich auf einen spirituellen Weg einzulassen oder ob dies nur auf der Bergspitze möglich sei. Er lacht. „ Der Berg," sagt er ruhig und zeigt wieder auf die Spitze seines Kopfes, „ ist hier."

Innere Stille

Er selbst hätte in seinem ganzen langen Leben weder eine Frau gehabt noch Sex oder einen Fernseher. Man könne aber all das haben, dürfe dabei jedoch den Weg nach Hause nicht vergessen, „home to god". Meditieren könne schließlich jeder. Mann und Frau. Moment, hake ich nach, warum gebe es dann so gut wie keine weiblichen Meister? Seine Antwort ist simpel: „Weil das - auch körperlich - eine unheimlich schwere Aufgabe ist. Und weil Frauen ohnehin die Liebe auf der Welt verteilen, von Natur aus." Ich nicke. Und merke, daß ich noch immer versuche, Widerstand gegen ihn zu leisten. Gegen Ihn? Oder doch nur gegen das Gefühl, das in mir entsteht? Jenes eine, bestimmte Gefühl, das so selten ist im Leben. Verloren mit der Kindheit. Zum Greifen nah nur mehr beim Verliebtsein: Jene Euphorie, bei der jeder Augenblick wie eine Schatztruhe ist. Mein Blick findet wieder seine Augen. Er scheint zu verstehen. Mich und das Drama aller Menschen, die von Logik und Denken dominiert werden - und doch so gerne Leben spüren würden, pur und unmittelbar. Sein Blick scheint zu sagen: „Es ist alles okay, noch nichts verloren." „Gott", sagt er Sekunden später eindringlich, „steht nicht in Büchern. Mann kann ihn fühlen und sehen."

Tiefes Gefühl

Sein Blick konzentriert sich auf eine Stelle zwischen meinen Augen. Er könne, höre ich seine warme Stimme, gerade das Licht sehen, das meinen Kopf umgibt. Plötzlich scheine ich jenseits von Zeit und Raum zu sein, habe weder Zweifel noch Sorgen. Im Gegenteil. Ich fühle mich geborgen. Als wäre eine helle, unscheinbare Tür in mir, an der ich tausendmal schon vorbeigelaufen bin, plötzlich einen Spalt weit offen. Und erst am Ende dieses langen Augenblicks meldet sich mein Kopf wieder, aber nur, um mir zu sagen: „Dieser Augenblick war wirklich, vergiß das niemals!" Eine Viertelstunde später bin ich wieder unterwegs durch die Straßen von Wien. Ziellos, leicht euphorisiert, wie von einer Reise zurückgekehrt, die ganz anders war. Und da tauchte plötzlich diese eine Frage wieder auf, die am Anfang wie Rauch war. Der Wunsch, er möge mir doch bitte Gott erklären. Die Antwort hatte ich jetzt - ohne daß der alte Inder ein Wort darüber verloren hatte. Es ist ein Unterschied, ob man weiß, worum es geht. Oder spürt, wohin es geht. Aber dafür sind Wegweiser schließlich da. 

Dieser Text basiert auf einem Interview, das im September 1997 
in der Zeitschrift „die Wienerin" veröffentlicht wurde.


 
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