Bewußtmachung, Befreiung, Integration
myrrhe * schrieb am
26. September 2005 um 11:58 Uhr (550x gelesen):
Hallo Maud,
ja, natürlich. Gefühle kennen keine Zeit - und Groll, Haß, Schmerz werden ebenso wie Liebe über Raum und Zeit weitergetragen. Die meisten Probleme im Leben des Erwachsenen rühren von unverarbeiteten Kindheitserlebnissen her - und auch darüber hinaus manches Mal. In geeigneten Therapien kann man die Ereignisse wieder-erleben und dann dorthin transportieren, wohin sie gehören. Und die Intensität des Erlebten ist genauso groß wie damals.
Was es ist, das einen nicht losläßt, das ist individuell verschieden. Sehr häufig hat es mit Liebe zu tun: das Kind hat das Gefühl, von den Eltern nicht geliebt zu werden; es glaubt, etwas leisten zu müssen, um Liebe zu bekommen. Liebe = Anerkennung bei Leistung: dieses Muster prägt sich dann ein und wird immer weitergetragen und letztlich vermutlich sehr oft auch unbewußt an die eigenen Kinder weitergegeben.
Ein Problem ist es auch, daß Eltern für Kinder so übermächtig sind: sie bestimmen ihr Leben, sie finanzieren es. Und das Kind hat dankbar zu sein. So darf es nicht wütend sein gegenüber den Eltern, weil eben Dankbarkeit vorherrschen "muß". Und so senkt sich die Wut dann irgendwann ins Unbewußte und bereitet dort Probleme.
Beide genannten Fälle habe ich selbst in der Therapie erlebt - und das, obwohl ich eine wirklich glückliche Kindheit hatte.
Es gibt natürlich unzählige andere Erlebnisse aus der Kindheit, die prägen. Wichtig ist nur, daß wir - egal was wir einst erlebt haben - irgendwann für uns selbst Verantwortung übernehmen und nicht länger die Schuld auf die Eltern schieben ("sie sind schuld, daß ich heute so und so bin"). Dazu muß man sich mit den Eltern seelisch aussöhnen. Meine Therapeutin erzählte mir, daß ihre Klienten oft das Szenario durchspielen, ihre Eltern umzubringen (!) - nur um sie hinterher erlöst in den Arm zu nehmen. Wut und Zorn und Schmerz müssen ausagiert, befreit werden - dann sind die Gefühle frei, die Erlebnisse können integriert werden als vergangen, und man lebt in der Gegenwart.
Einen lieben Gruß,
myrrhe

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