Ansicht: Klassisch | Themen | Beiträge |

re: Schuldgefühle

myrrhe * schrieb am 7. August 2007 um 15:18 Uhr (783x gelesen):

Hallo Anemone,

es ist mir jetzt zuviel Text, um detailliert darauf zu antworten ... aber nur soviel dazu:

Das Thema ist viel tiefgehender und hat nicht nur mit Erpressung (das wäre die Sicht nach außen: "der andere") zu tun.
Vielmehr hat es mit "Schuld" zu tun. Und dieses Schuldgefühl kommt von viel tiefer her, als wir ahnen, eigentlich ist unsere ganze Gesellschaft davon betroffen ...

"Schuld und Sühne" - unsere christlichen Wurzeln.

Das Baby, das seiner Mama einen Kaiserschnitt "verursacht" - es fühlt sich schuldig.
Das Kleinkind, das selbst seine Erfahrungen machen möchte, aber Mama läßt es nicht (es könnte ja hinfallen, sich wehtun ... etc.) - es fühlt sich schuldig, was anderes zu wollen.
Das Kind, das sich eigenständig entwickelt und nicht so wie die Eltern - es fühlt sich schuldig, anders zu sein und etwas anderes zu wollen.
Das Kind, das gegen seine Eltern protestiert - es fühlt sich schuldig, denn die Eltern tun doch alles für es, sorgen für es, geben Quartier, Essen, Ausbildung.
Der Jugendliche, der andere Vorstellungen hat als seine Umwelt - er fühlt sich schuldig, der Gesellschaft gegenüber zu versagen.
Der Jugendliche, der den ersten Freund/Freundin hat - er fühlt sich schuldig, wenn er daneben an jemanden anderen denkt.
Das Kind der Eltern, das sein Elternhaus verläßt - es fühlt sich schuldig, weil es die Eltern zurückläßt.

Der Erwachsene, der Vorwürfe des Chefs hört - er fühlt sich schuldig, weil er dahinter Papas Stimme hört (und daran, was er nicht erfüllen konnte, weil er anders war).
Der Erwachsene, der sich über seinen Partner ärgert, weil der anders reagiert als er selbst - er ärgert sich über sich selbst! weil er sich schuldig fühlt, anders zu sein, als seine Eltern ihn wollten ...

Verstehst du, was ich damit meine?
Es geht in den meisten subtilen Fällen nicht darum, jemanden bewußt zu erpressen. Vielmehr trägt derjenige sein Schuldgefühl mit sich herum (und das hat er von den Eltern, die sich ihrerseits schuldig gefühlt haben) - er erkennt sich selbst nicht an. Das überträgt er auf die Mitmenschen. Oder anders: die Mitmenschen sind SEIN EIGENER SPIEGEL.

lieben Gruß,
myrrhe

  Beitrag ist archiviert