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Geisteswissenschaften
Rino schrieb am 9. Juni 2004 um 22:37 Uhr (647x gelesen):

Notiz über Geisteswissenschaft und Bildung


Von Theodor W. Adorno
Unter den Aspekten der gegenwärtigen Universität, denen gegenüber der Ausdruck Krise mehr ist als bloße Phrase, möchte ich einen hervorheben, den ich gewiß nicht entdeckt habe, der jedoch in der öffentlichen Diskussion kaum die genügende Aufmerksamkeit fand. Er hängt zusammen mit jenem Komplex, der als Divergenz von Bildung und fachlicher Schulung bekannt ist, deckt sich aber keineswegs damit. Auszudrücken ist er nicht leicht; das Vage und Thesenhafte des improvisierten Versuchs bedarf der Entschuldigung. Es gilt der Frage, ob der Universität heute Bildung dort noch gelinge, wo sie nach Thematik und Tradition an deren Begriff festhält, also in den sogenannten Geisteswissenschaften; ob im allgemeinen der Akademiker durch deren Studium überhaupt noch jene Art geistiger Erfahrung gewinnen kann, die vom Begriff Bildung gemeint war, und die im Sinn der Gegenstände selber liegt, mit denen er sich befaßt. Vieles spricht dafür, daß von eben dem Begriff der Wissenschaft, wie er nach dem Verfall der großen Philosophie aufkam und seitdem eine Art Monopol erlangte, jene Bildung unterhöhlt wird, welche er kraft des Monopols beansprucht. Wissenschaftliche Disziplin ist eine geistige Gestalt dessen, was Goethe wie Hegel als Entäußerung forderten: Hingabe des Geistes an ein ihm Entgegenstehendes und Fremdes, in der er erst seine Freiheit gewinnt. Wer solcher Disziplin sich entzogen hat, wird durch amateurhaftes Drauflosdenken und versiertes Geschwätz leicht nur unter das Niveau dessen herabsinken, wogegen er legitimen Widerwillen empfand; unter die heteronom ihm aufgedrungene Methode. Aber jene Disziplin und die Vorstellung von Wissenschaft, die ihr entspricht, und die mittlerweile zum Widerspiel dessen wurde, was Fichte, Schelling, Hegel unter dem Wort sich vorstellten, hat auf Kosten des ihr konträren Moments verhängnisvolles Übergewicht erlangt, ohne daß es dekretorisch sich zurücknehmen ließe. Spontaneität, Imagination, Freiheit zur Sache sind allen anders lautenden Erklärungen zum Trotz durch die allgegenwärtige Frage »Ist das auch Wissenschaft?« so eingeengt, daß der Geist noch in seinem einheimischen Bereich droht, entgeistet zu werden. Die Funktion des Wissenschaftsbegriffs ist umgeschlagen. Die vielberufene methodische Sauberkeit, allgemeine Kontrollierbarkeit, der Consensus der zuständigen Gelehrten, die Belegbarkeit aller Behauptungen, selbst die logische Stringenz der Gedankengänge ist nicht Geist: das Kriterium des Hieb- und Stichfesten wirkt jenem immer zugleich auch entgegen. Wo der Konflikt gegen die unreglementierte Einsicht entschieden ist, kann es zur Dialektik der Bildung, zum inwendigen Prozeß von Subjekt und Objekt gar nicht kommen, den man im Humboldtschen Zeitalter konzipierte. Organisierte Geisteswissenschaft ist Bestandsaufnahme und Reflexionsform des Geistes eher als dessen eigenes Leben; als Unähnliches will sie ihn erkennen und erhebt die Unähnlichkeit zur Maxime. Setzt sie sich aber an seine Stelle, so verschwindet er, auch in der Wissenschaft selbst. Das geschieht, sobald Wissenschaft als einziges Organon von Bildung sich betrachtet, und die Einrichtung der Gesellschaft sanktioniert kein anderes. Zur Intoleranz gegen den Geist, der ihr nicht gleicht, neigt Wissenschaft offenbar um so mehr, pocht um so mehr auf ihr Privileg, je tiefer sie ahnt, daß sie das nicht gewährt, was sie verspricht. An der Enttäuschung vieler geisteswissenschaftlicher Studenten in den ersten Semestern ist nicht nur deren Naivetät schuld, sondern ebenso, daß die Geisteswissenschaften jenes Moment von Naivetät, von Unmittelbarkeit zum Objekt eingebüßt haben, ohne das Geist nicht lebt; ihr Mangel an Selbstbesinnung dabei ist nicht weniger naiv. Noch wo sie weltanschaulich dem Positivismus opponieren, sind sie insgeheim unter den Bann der positivistischen Denkmanier geraten, den eines verdinglichten Bewußtseins. Disziplin wird, im Einklang mit einer gesellschaftlichen Gesamttendenz, zum Tabu über alles, was nicht das je Gegebene stur reproduziert; eben das aber wäre die Bestimmung des Geistes. An einer ausländischen Universität würde einem Studenten der Kunstgeschichte gesagt: Sie sind hier nicht, um zu denken, sondern um zu forschen. Das wird zwar in Deutschland aus Respekt vor einer Tradition, von der wenig mehr übrig ist als solcher Respekt vor einer Tradition, nicht mit so dürren Worten ausgesprochen, läßt aber auch hierzulande die Gestalt der Arbeit nicht unberührt.

Die Verdinglichung des Bewußtseins, die Verfügung über seine eingeschliffenen Apparaturen schiebt sich vielfach vor die Gegenstände und verhindert die Bildung, die eins wäre mit dem Widerstand gegen Verdinglichung. Das Geflecht, mit welchem die organisierte Geisteswissenschaft ihre Gegenstände überzogen hat, wird tendenziell zum Fetisch; was anders ist zum Exzeß, für den in der Wissenschaft kein Raum sei. Der philosophisch dubiose Kultus der Ursprünglichkeit, der von der Heideggerschen Schule betrieben wird, hätte schwerlich die geisteswissenschaftliche Jugend so sehr fasziniert, käme er nicht auch einem wahrhaften Bedürfnis entgegen. Sie merken täglich, daß wissenschaftliches Denken, anstatt die Phänomene aufzuschließen, sich bei deren je schon zugerichteter Gestalt bescheidet. Indem jedoch der gesellschaftliche Prozeß verkannt wird, der das Denken verdinglicht, machen sie Ursprünglichkeit selbst wiederum zu einer Branche, zur angeblich radikalen und eben darum spezialistischen Frage. Was das verdinglichte wissenschaftliche Bewußtsein anstelle der Sache begehrt, ist aber ein Gesellschaftliches: Deckung durch den institutionellen Wissenschaftszweig, auf welchen jenes Bewußtsein als einzige Instanz sich beruft, sobald man es wagt, an das sie zu mahnen, was sie vergessen. Das ist der implizite Konformismus der Geisteswissenschaft. Prätendiert sie, geistige Menschen zu bilden, so werden diese eher von ihr gebrochen. Sie errichten in sich eine mehr oder minder freiwillige Selbstkontrolle. Diese veranlaßt sie zunächst dazu, nichts zu sagen, was den etablierten Spielregeln ihrer Wissenschaft nicht gehorcht; allmählich verlernen sie, es auch nur wahrzunehmen. Selbst geistigen Gebilden gegenüber fällt es nachgerade den akademisch mit ihnen Befaßten schwer, etwas anderes zu denken als das, was dem unausdrücklichen und deshalb um so mächtigeren Wissenschaftsideal entspricht.

Seine repressive Gewalt beschränkt sich keineswegs auf bloße Lern- oder technische Fächer. Das Diktat, das in diesen die praktische Verwendbarkeit ausübt, hat auch die ergriffen, die solche Verwendbarkeit nicht beanspruchen können. Denn dem Begriff der Wissenschaft, der sich unaufhaltsam ausbreitete, seitdem sie und die Philosophie, aus beider Schuld und zu beider Schaden, auseinanderbrachen, ist die Entgeistung immanent. Bewußtlos schaltet akademische Bildung auch dort, wo sie es thematisch mit Geistigem zu tun hat, einer Wissenschaft sich gleich, deren Maß das Vorfindliche, Tatsächliche und seine Aufbereitung ist – jene Faktizität, bei der nicht sich zu bescheiden das Lebenselement des Geistes wäre. Wie tief Entgeistung und Verwissenschaftlichung miteinander verwachsen sind, zeigt sich daran , daß dann als Gegengift fertige Philosopheme von außen herangeholt werden. Man infiltriert sie den geisteswissenschaftlichen Interpretationen, um ihnen den mangelnden Glanz zu verleihen, ohne daß sie aus der Erkenntnis der geistigen Gebilde selbst heraussprängen. Mit komischer Bedeutsamkeit wird dann aus diesen immer wieder , differenzlos, das Gleiche herausgelesen.

Zwischen Geist und Wissenschaft lagert sich ein Vakuum. Nicht nur die Fachausbildung, sondern auch Bildung selber bildet nicht mehr. Sie polarisiert sich nach den Momenten des Methodischen und des Informatorischen. Der gebildete Geist wäre demgegenüber ebenso eine unwillkürliche Reaktionsform wie seiner selbst mächtig. Nichts steht dem mehr im Bildungswesen bei, auch die hohen Schulen nicht. Verfemt die unreflektierte Verwissenschaftlichung zunehmend den Geist als eine Art von Allotria, dann verstrickt sie sich tiefer stets in den Widerspruch zum Gehalt dessen, womit sie sich befaßt, und zu dem, was sie für ihre Aufgabe hält. Sollen die Universitäten anderen Sinnes werden, so wäre in die Geisteswissenschaften nicht weniger einzugreifen als in die Fächer, vor denen jene zu Unrecht den Geist vorauszuhaben sich einbilden.





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