Wie alles Begann:
  Die wissenschaftliche Diskussion, Der Mythos entsteht

Als die Welt etwas von den Vampiren erfahren sollte, war es Anfang des 18. Jahrhunderts. Eine rätselhafte Epidemie wütete damals immer wieder unter der Bevölkerung Serbiens, d.h. im Grenzgebiet zum Osmanischen Reich, das seinerzeit von den Militärbehörden der österreichisch, kaiserlichen und königlichen Monarchie (K.u.K.) verwaltet wurde.

Die beunruhigenden Berichte über diese Krankheit gelangten nach Wien und schließlich, über Zeitungen oder durch direkte Anfragen an Universitäten, bis nach Deutschland.

Es drohten Massenauswanderungen der Grenzbewohner aus Angst vor den unheimlichen Vampiren. So genehmigten die damaligen Behörden schließlich die Exhumierung derjenigen Leichen, die von der Bevölkerung als Vampire verdächtigt wurden.

Zu ihrem Entsetzen mußten die herbeigerufenen Beamten dabei feststellen, daß sie es offensichtlich mit jenen blutsaugenden Toten zu tun hatten, von denen sie in den Erzählungen der Dorfältesten gehört hatten und "so sie vampyri nennen" (siehe. hierzu (1)).

Noch heute findet man in dem Hofkammerarchiv in Wien die furchteinflößenden Dokumente in denen die schrecklichen Ereignisse jener Zeit festgehalten werden.

Unter besagten Dokumenten findet sich auch der Bericht des Kameralprovisors Formbald, den dieser Anfang des Jahres 1725 für seine Vorgesetzten in Wien verfaßt hatte und in dem er die Folgen jener rätselhaften Seuche in dem slawonischen Dorf "Kisolowa" beschrieb.

Die Dorfbevölkerung erzählte ihm, daß 9 Menschen innerhalb von 8 Tagen nach 24 stündiger rätselhafter Krankheit verstarben. Dabei gaben die Angehörigen die Aussagen der Sterbenden zu Protokoll, die alle einhellig immer wieder ein grauenhaftes Geschehen erzählten, daß nämlich (siehe. hierzu (2)): "verschiedener Peter Plogojowiz zu ihnen im Schlaf gekommen, sich auf sie gelegt und gewürget, daß sie nunmehro den Geist auffgeben müsten".[Quelle]

Aus den überlieferten Berichten lassen sich im nachhinein folgende Symptome jener Vampirkrankheit zusammenfassen (vgl. hierzu (3)):

    Die Patienten klagten über anhaltenden Brechreiz. Schmerzen im Magen- Darmtrakt; sowie Nieren- , Rücken- , Schulterblatt- und Hinterkopfbereich. Sie klagten über Abnahme der Sehfähigkeit, Gehörschwäche und Sprechstörung.

    Die Angehörigen der Betroffen gaben zu Protokoll, daß die Kranken plötzlich in der Nacht schreiend und unter Zittern hochschreckten, sie klagten dabei über Verengungen der Atemwege und hitzigen Aufwallungen, einhergehend mit dem Symptom der Herzangst und Schmerzen in der Herzgegend sowie im Magenmund. Nach einem solchen Anfall folgte der Alptraum, in dem die Kranken immer wieder von den Untoten berichteten, die zu ihnen kamen und ihnen das Leben aussaugten. Innerhalb von wenigen Tagen nach einem solchem Anfall verstarben die Betroffenen völlig entkräftet und ausgezehrt.

    Die hinzugerufenen Ärzte fanden bei den Patienten eine deutliche Austrocknung (Exikose), einhergehend mit unstillbarem Durst, unregelmäßigen Puls, Wechselfieber und manchmal rötlich/bläuliche Flecken unter den Brustknorpeln, oder an anderen Stellen am Körper. Insgesamt aber standen die Mediziner völlig machtlos an den Betten der Sterbenden und mußte hilflos mit ansehen, wie die Krankheit ihre Opfer innerhalb kürzerster Zeit dahinraffte.

Die Erzählungen der Dorfbevölkerung über die Vampire schienen sich bei den Exhumierungen zu bewahrheiten. Die Merkmahle, die sie an den unverwesten Leichen, selbst nach mehrwöchiger Liegezeit im Grab, entdeckten, waren für sie unmißverständlich Hinweise für die Existenz der Vampire (vgl. hierzu (4)):

  1. Unverweslichkeit
  2. Ausfluß von Blut aus Nase, Ohren, Augen, Mund und Geschlechtsteilen
  3. fortgesetztes Wachstum von Haaren, Bart und Nägeln
  4. Ablösung der Epidermis mit Bildung einer Art "neuen Haut" darunter
  5. Dabei ein gesundes, aufgedunsenes Aussehen, wie man es an dem
  6. Verblichenem zu Lebzeiten nicht kannte
  7. Das "wilde Zeichen"= Der Peniserektion bei Männern, usw.

Die Epidemie schien also nicht nur die Lebenden zu betreffen, sondern auch in einer unheilvollen Verbindung mit den Toten zu stehen, so daß diese nicht einmal in ihren Gräbern Ruhe finden konnten.

Die Behörden standen vor einem scheinbar unlösbaren Rätsel und suchten Rat unter den Gelehrten.

Diese versuchten nun ihrerseits in wissenschaftlichen Debatten, bzw. durch philosophische und theologische Konstrukte das Rätsel über die Erscheinung der Vampire und ihrer Verbindung zu den Kranken zu lösen.

Ein Beispiel, für die vielen Theorien die damals diskutiert wurden, war die Theorie des Astralkörpers bzw. Astralgeistes. Eine Theorie, die auf Paracelsus zurückgeführt wird und nach der der Mensch neben Körper und Seele noch über einem dritten Anteil verfügt, nämlich besagtem Astralgeist.

Nach dieser Vorstellung wurden mit dem Tod diese Anteile getrennt und während dabei die Seele zu Gott zurückkehrt und der Körper verwest, sollte jener Astralgeist noch eine länger Zeit benötigen, um sich in Luft aufzulösen. Die Eigenschaften des Astralgeist sollten subtil, körperlicher Art und zeitweilig unverweslich sein und so erklärte dieses philosophische Gebilde viele der Phänomene, die an den Vampiren so geheimnisvoll erschienen (vgl. hierzu (5)).

Allerdings war damals schon selbst für die mit den Untersuchungen beauftragten Kontrolleure auffällig, daß die Seuche gewissen Gesetzmäßigkeiten folgte, so daß sie sogar Risikogruppen feststellen konnten.

Immer wieder wurden die serbischen, rätzischen und walachischen Grenzer von der Vampirseuche befallen. Also Menschen orthodoxen Glaubens, für die das Zeichen der Unverweslichkeit als eine Strafe Gottes für Exkommunizierte angesehen wurde (vgl. hierzu (6)). Die Seuche wütete während der Wintersaison und dabei zunächst unter den Personen, die dem vermeintlichen Vampir nahestanden, seiner Frau, seinen Kindern usw. Auch traten die Angstattacken mit dem anschließenden Alptraum vorwiegend in den Abendstunden auf.

Die dort stationierten Soldaten und deutschstämmigen Siedler allerdings bleiben verschont (vgl. hierzu (7)). Außerdem waren nicht alle Gebiete Serbiens betroffen, sondern, nur die Regionen der östereichischen Militärgrenze, die durch die Militärkonflikte und immer neuen Grenzverschiebungen mit dem Osmanischen Reich, oft ihren Besitzer gewechselt hatten (vgl. hierzu (8)).

Interessant dabei ist, daß frühere Zeitungsberichte aus den Jahren 1693 und 1694 des "Mercure Galanta", die von Vampiren und wiederkehrenden Blutsaugern in Polen und Rußland berichteten (vgl. hierzu (9) und (10)), sowie einschließlich Frombalds oben erwähnter Bericht, die akademischen Gemüter längst nicht so erregten, wie die im Jahre 1732.

Trotzdem gilt das Jahr 1725 als dasjenige, in dem durch die Veröffentlichungen des "Wienerisches Diarium", das Wort von jenen blutsaugenden Untoten "so sie vampyri nennen" an die Universität zu Leibzig und damit nach Deutschland gelangte (vgl. hierzu (11)) [Kluge]. In der Folge schrieb Michael Ranft sein Traktat "Von dem Kauen und Schmatzen der Todten in Gräbern", daß 1728 (Neuauflage 1734) erschien und damals als Standardwerk über Vampirismus galt (vgl. hierzu (12)).

Ein Grund dafür, daß die erste große Vampirdebatte erst im Jahr 1732 losbrach, mag darin liegen, daß in diesem Jahr die Gelehrtenwelt gleich auf mehren Wegen von der unheimlichen Vampirepidemie in dem serbischen Dorf Medwegya [Quelle] (vgl. hierzu (13)) erfuhr:

  1. Über direkte Anfragen des Belgrader Generalkommandanten an die Universität Tübingen und die königliche Preußische Societät der Wissenschaften in Berlin.
  2. Durch eine Anfrage des Offiziersanwärters von Kottwitz an die Kaiserlich Leopoldinische Akademie der Naturforscher in Altdorf. [Quelle]
  3. Über den Wiener Arzt und Korrespondent der Nürnberger Zeitschrift "Comercium Litterarium" Johann Friedrich Glaser [Quelle], dessen Sohn an den Untersuchungen von Medwegya beteiligt war [Quelle].

Diese Nürnberger Zeitschrift "Comercium Litterarium" ist ein gutes Beispiel für die in der Zeit der Aufklärung überall aufkommenden wissenschaftlichen Zeitschriften.

Es war eine in lateinischer Sprache verfaßte Wochenzeitschrift, die aktuelle medizinische Themen für ein breites Publikum, von Akademikern bis zu dem interessierten Bürgertum publizierte. Dieser Zeitschrift sollte in der folgenden ersten großen Vampirdebatte des Jahres 1732 eine zentrale Bedeutung zukommen (vgl. hierzu (14)).

Sie sorgte dafür, daß der Begriff "Vampyrus Serviensis" schon bald in aller Munde war.

Die hitzigen Diskussionen jener Zeit können mit recht als die Geburtsstunde der modernen Vampirlegende bezeichnet werden. Die Echos dieser Debatten fanden sich auch in Zeitungen Frankreichs, Englands, Hollands und Italiens und verhalfen so den Vampiren zu ihrer ersten traurigen Berühmtheit :


Resümee des Autors

Ein kurioses Ereignis der Geschichte, daß gerade die Wissenschaftler der Aufklärung einen Mythos erschufen, obwohl gerade sie sich verpflichtete sahen, die Kultur des Menschen von Mystizismus und Aberglauben zu befreien. Insbesondere, da durchaus gute und vernünftige Erklärungen für die Vorgänge bei der Verwesung, zumindestens zum Teil, bekannt waren (vgl. hierzu (15)).

Aber noch waren die Gelehrten selbst zu sehr vom philosophischen und theologischen Gedankengut ihrer Zeit beeinflußt. Denn sie trennten nicht die unterschiedlichen Aspekte in den Berichten, d. h. den Aberglauben, so wie er sich in den Erzählungen der Dorfbevölkerung äußerte und die objektiven Untersuchungsergebnisse der Beamten.

Sondern Sie bezogen den Aberglauben neben philosophischen und theologischen Gedanken in ihre Erklärungsmodelle ein, um die Fragen zu beantworten, die sie mit ihrem damaligen Wissenstand nicht lösen konnten (vgl. hierzu (16) und (17)).

Bis zum Ende der 60er Jahre des 18. Jahrhunderts. verloren die Menschen das Interesse an der Diskussion über Vampire und schließlich wird Vampirismus von Jaucourt 1765 unter der Rubrik "Geschichte des Aberglauben" für die Encycopédie abgehandelt.

Der Vampir versank in Vergessenheit, nachdem sein wissenschaftliches Leben gerade einmal etwas mehr als dreizig Jahre gedauert hatte (vgl. hierzu (18)).

Doch die Vampire waren damit keineswegs tot, sondern sie sollten sich bald wieder in einer neuen Zeit den Menschen vorstellen.

Die Vampire Anfang des 18. Jahrhunderts waren noch reichlich unscheinbare Wesen im Vergleich zu ihren Nachkommen, die dann in der Epoche der Romantik zurückkamen, um mit der Eleganz eines Lord Ruthvens aus W. Polidoris Geschichte "Der Vampyr" und dem erotischen Vampirbiß eines Grafen Dracula aus Bram Stokers Roman, die Salons der bürgerlichen und der feineren Gesellschaft zurückzuerobern (vgl. hierzu (19) und (20)).

Fast könnte man glauben, daß der Zeitpunkt den sich die Vampire ausgesucht hatten, um der ganzen Welt von ihrer Existenz zu berichten, nicht hätte besser gewählt sein können.



Autor: Hans-Jürgen Schäfer

    (1) Hamberger K., Seite 43 s. Litverz.
    (2) ders. Seite 43 u. 44 s. Litverz.
    (3) ders. Seite 9 u. 10 s. Litverz.
    (4) u. (15) ders. Seite 12 s. Litverz.
    (5) ders. Seite 32 s. Litverz.
    (6) Sturm D. und Völker K., Seite 508 u. 523 s. Litverz.
    (7) Hamberger K., Seite 10ff. s. Litverz.
    (8) ders. Seite 19ff. s. Litverz.
    (9) Sturm D. und Völker K., Seite 506 s. Litverz.
    (10) Hamberger K., Seite 73 s. Litverz.
    (11) Kluge F., Seite 852 s. Litverz.
    (12) Sturm D. und Völker K., Seite 519 s. Litverz.
    (13) Hamberger K., Seite 22 s. Litverz.
    (14) ders. Seite 28 s. Litverz.
    (16) Sturm D. und Völker K., Seite 520 s. Litverz.
    (17) Hamberger K., Seite 13 s. Litverz.
    (18) ders. Seite 8 s. Litverz.
    (19) Sturm D. und Völker K., Seite 505 s. Litverz.
    (20) Hamberger K., Seite 15ff. s. Litverz.