Grausame Leere
erwinio schrieb am 4. August 2005 um 16:59 Uhr (601x gelesen):
Einst dachte ich, wenn man nur alles töte um sich herum, sei man in Frieden mit sich selbst.
Jetzt, wo ich alles getötet habe, merke ich, dass auch ich nicht mehr bin.
Wenn man nur alles entwurzle, dachte ich, was an Phantasien uns irreführt; dann wird man erkennen.
Nun merke ich, dass ich selbst die Wurzeln meiner Augen ausgerissen habe.
Eine Grube habe ich gegraben; tief in mir glaubte ich den Schatz zu entdecken - doch vorerst gähnt ein schwarzes Nichts, ein Sog, ein Schwindel.
Einen Schatz? Glänzen habe ich ihn gesehen - doch als ich nach ihm greifen wollte, war er weg.
Allen Trost, allen Glauben habe ich verdammt; stolz, stark genug zu sein, in nicht mehr zu benötigen; belächelt habe ich Euch; mit Euren Religionen und Engeln und Geistern und Fabelwesen und was ihr Euch sonst noch so alles erdacht und erschaffen habt. Wohl weiss, ich, dass das alles Einbildung ist. Traum und Irrsinn. Doch, ach! Wie tröstend waren diese Phantasien.
Losgelassen habe ich; kein Halm ist mehr da, an dem ich mich halten könnte. Ich verfluche noch den Halm, obschon er nicht da ist. Ausreissen würde ich ihn, würde er sich anerbieten mir Halt zu geben.
Es gibt kein Zurück.
Wer alles gelassen hat, fällt. Da er alles gelassen hat, fällt er vielleicht für immer.
Erst nach der Landung wird er sehen, ob überhaupt noch etwas zu sehen ist. Sollte er denn landen.
Das Ende vom Anfang
oder der Anfang vom Ende.
Wer sich in Relation setzt mit dem Universum, mit der Entstehung und Ausdehnung von Raum und Zeit, ja, mit der Unendlichkeit von Raum und Zeit; mit Schwindel wird er erkennen, dass er NICHTS ist, nicht existieren kann.
Leere, einst dachte ich Dich schön,
jetzt erlebe ich Dich.
Was wird den Raum einnehmen, den ich in mir geschaffen habe?
Was wird die Grube füllen, die ich gegraben habe?
Was wird wurzeln schlagen, wo ich das Unkraut vernichtet habe?
Was wird da lebendig, wo ich getötet habe?
Nicht einmal mehr beten kann ich; denn mein Gott ist tot.
Nicht einmal mehr hoffen kann ich, denn Hoffnung ist nichts als aufgeschobene Erkenntnis.
Nichts.
Noch fliessen die Worte, doch auch sie werden versiegen.
Noch fliegen die Gedanken, doch ihre Landung steht bevor.
Noch kreisen die Sinne, aber ihre Ruhezeit wird kommen.
Noch schimmert das Gefühl, aber auch es wird erblassen.
Vielleicht, erfasst mich das, was ich glänzen sah.
Wenn ich mich in die Grube begebe.
Und sitze.
Und warte.
Hoffnung? Ohne.
Wer nicht ist, kann nichts verlieren, nichts gewinnen.
Schaufeln werde ich so schnell nicht wieder.
Beste Grüsse
Erwino

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Diskussionsverlauf:
- Grausame Leere ~ erwinio - 04.08.2005 16:59 (18)