Re: keine kraft mehr...
Taranis schrieb am 16. Oktober 2000 um 22:46 Uhr (436x gelesen):
> Hallo, liebe Yulara!
> Ach, es tut mir leid, dass Du im Moment keine so gute Zeit hast. So richtig helfen kann ich Dir ja auch nicht, aber ein paar tröstende Worte vielleicht...
> Das gibt es schon manchmal, dass man irgendwie in einem Loch sitzt und alles, was man bisher gemacht hat plötzlich in Frage stellt. Das ist mir auch schon so gegangen.
> Woher das kommt weiß ich nicht genau, aber vielleicht bist Du gerade mittendrin in einem Entwicklungsschritt, den wir ca. alle 7 Jahre haben. Wenn wir wieder eine "Stufe" hinaufklettern, kann es durchaus sein, dass wir irgendwie aufgewühlt sind, irgendwie nicht mehr mit dem zufrieden sind, womit wir die ganzen Jahre zuvor ganz glücklich waren.
> Mach Dir Dein Herz nicht schwer. Es geht wieder vorbei. Naja, entweder Du gehst vielleicht wirklich einfach mal wieder ein bisschen öfter aus, lernst neue Leute kennen, oder Du machst es Dir so schön, wie es im Moment halt eben geht.
> Aber alles ändert sich fortwährend. So ändert sich auch Deine Stimmung wieder, wird wieder heller. Alles ist ein ewiges Auf und Ab.
> Was mir aufgefallen ist - es scheint gerade, wenn man so wie Du, um die 20 herum ist für viele Menschen das einzutreten, was Du beschreibst. (ich habe das jetzt schon sehr oft festgestellt) Auch bei mir war es so, als ich um die 20 war. Ich war in dieser Zeit ohne Grund oft regelrecht depressiv, musste einfach so losheulen, und wusste eigentlich gar nicht so richtig warum.
> Hm, mit 20 beginnt ja auch irgendwie "der Ernst des Lebens" Die meisten Leute orientieren sich in dieser Zeit weg vom Elternhaus und versuchen nun selbst "etwas auf die Beine zu stellen". Sei es beruflich, sei es eine Familie gründen etc. Es ist wohl schon eine Zeit des Umbruchs, die auch manchmal einen ganz schönen Gefühlswirrwarr hervorruft. Einerseits möchte man hinaus, sein eigenes Leben leben, sich "verwirklichen", und andererseits sehnt man sich aber auch wieder in die frühe Jungendzeit und Kindheit zurück, in der irgendwie alles einfacher war und man sich geborgen fühlen konnte.
> Liebe Yulara, sei nicht allzu traurig, Du kommst aus diesem Loch auch wieder heraus und das geschieht sogar, wenn Du jetzt gar nix besonderes machst. Es sortiert sich alles wieder ein.
> Mach Dir einen möglichst schönen Abend. Guck mal, ob Du vielleicht was schönes im TV findest, oder vielleicht hast Du ein schönes Buch? Naja, sicher blöde Radschläge - die hast Du Dir sicher schon selbst gegeben.
> Trotzdem, nimm alles nicht so schwer, es wird wieder. Aber ein paar Monate kann's unter Umständen auch dauern :-(
> Ganz liebe Grüße, ich denk an Dich und sende Dir ein bisschen "Power" *smile*
> Anette (ich bin 36)
Hallo Yulara und Anette!
Die Antwort von Anette finde ich sehr schön und sehr stimmig.
Als ich 19 war erging es mir ähnlich. Nach der Schule, die ich stets haßte, zog ich sofort von zu Hause aus. Ich dachte, daß ich mit dem Studium und einer eigenen Wohnung die *Freiheit* gefunden hätte. Tatsächlich fiel ich aber damals in ein tiefes Loch. Alle alten Strukturen (gegen die ich zwar meistens ankämpfte, die mir aber trotzdem irgendwie Halt gaben) waren plötzlich weg. Nach einer Weile beschloß ich dann, mir einige Stunden bei einem Therapeuten zu gönnen. Damals erfuhr ich zum ersten Mal, daß die meistens Menschen, die eine Therapie machen, dies im Alter von 20, 40 und 60 Jahren tun. Aufgrund der gesellschaftlichen Strukturen sind dies die Zeiten, wo sehr große persönliche Veränderungen eintreten können. Gerade für Menschen die sensibler sind und den Weg (anfangs vielleicht noch unbewußt) zu sich selbst suchen, kann dies mit Schwierigkeiten verbunden sein. Die gesellschaftlichen Strukturen geben den Weg ja mehr oder weniger "klar" vor: Schule, Beruf & Karriere, Heiraten und Kinder kriegen, Häusle bauen, etc. und dann sterben. Was aber wenn man anders fühlt? Nun, liebe Yulara, wie Du schon schreibst, verabschieden sich zuerst die sog. "Freunde". Die Situation, die Du erlebst, kommt nicht von ungefähr. Dein Wesen drängt nach Veränderung, die "äußere" Welt spiegelt Dir das. Wenn man seinen ur-eigensten Weg entdecken und gehen will, bedarf es natürlich Mut, viel Geduld und vorallem Liebe zu sich selbst. Es ist auch sehr von Vorteil, wenn man es sich erlaubt, in dieser Phase der Neuorientierung, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ein(e) humanistisch eingestellte(r) Therapeut(in) kann Dich auf Deinem Weg begleiten und vorallem bestärken.
Hilfreich ist es auch, wenn Du Dir vermehrt "Alternativen" (weltanschaulich) ansiehst, also z. B. Seminare oder dgl. besuchst. Dadurch eröffnest Du Dir neue Wirklichkeiten und lernst Menschen kennen, die ähnlich wie Du denken und fühlen. Den Austausch mit anderen, halte ich überhaupt für das wichtigste.
Wenn Du den Weg zu Dir selbst beschreitest, wird Dir wahrscheinlich Deine äußere Umgebung noch eine Zeit lang einreden, daß Du "verrückt" bist. Wenn Du aber auf Deinem Weg bleibst, wird sich Deine Realität innen und außen verändern. Anstatt der Kraftlosigkeit wird Glück und Erfüllung Dein Wesen sein. Neue Freunde werden sich einstellen, die Dich und Dein Wesen wirklich verstehen (viele werden Dich zwar nach wie vor nicht verstehen, aber sie werden spüren, daß Du "anders" bist, und Du wirst ihr Interesse wecken).
Vielleicht kannst Du ja den Weg zu Dir selbst als eine Art "Entdeckungsreise" betrachten. Was gibt es Spannenderes, als sein wahres Wesen zu entdecken und dabei wahre "Schätze" freizulegen?
Liebe Grüße und alles Gute
Taranis

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