was ist Glauben?
myrrhe schrieb am 19. Februar 2005 um 22:55 Uhr (594x gelesen):
Liebe Eventuelle,
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> > Nein, das Volk hat sich früher nicht geschert um die Verwaltung, aus zweierlei Gründen, die ich ja auch ansprach: erstens war die religio noch mehr verwurzelt im Menschen
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> - das würde ich grad nicht so unterschreiben. Viele gingen in die Kirche, weil es der Nachbar tat, weil, täte man es nicht, man aus dem gesellschaftlichen Gefüge herausgefallen wäre. Auch aus Gewohnheit und aus Prestigegründen. Das, was Du religio nennst, ist ja schon weit mehr als Religion (obwohl gleichen Ursprungs) und meint wohl die b e w u s s t e Rückbindung. Die ist immer nur bei wenigen Menschen zu finden.
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mit letzterem hast du sicher recht. Aber dennoch: die Religion war viel mehr im Menschen verwurzelt als heute - sie diente ja auch als seelischer Rückhalt. Damals gab es keine Therapien, der Priester war der "Therapeut", an den man sich auch wenden konnte (mußte), wenn man "gesündigt" hatte ... Man ging sicher in die Kirche, weil eben jeder ging - aber auch, weil es zum Leben dazugehörte. Es war sozusagen der Kontakt mit dem Geistigen. Heute gehört Kirchengang nicht mehr dazu ... und die Beschäftigung mit dem Geistigen obliegt jedem einzelnen ...
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> >Man darf den Druck nicht vergessen, den die katholische Kirche ausgeübt hat, einen subtilen Druck. Dem sich die Menschen aber gebeugt haben, gab ihnen die religio doch auch spirituellen Halt.
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> Da haben sich die Menschen wohl eher aus Angst vor der Hölle und dem Fegefeuer gebeugt. Diese Angst wurde (und wird?) dem Kind schon in die Seele gelegt, indem es beichten gehen soll für Handlungen, die ihm der Priester erst als Sünden erklärt hat. Es lernt so, sich in Gut und Böse zu spalten. Ich sehe den "spirituellen Halt" nur in der Schwäche, nicht dagegen aufzubegehren und sein Recht auf Ganzheit einzufordern (nämlich dass der Mensch gut und böse i s t).
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Natürlich! das sehe ich auch so. Dennoch, der Mensch war eingebunden in die religio (Religion), heute ist er es nicht mehr in dem Maße - viele Kinder wachsen ganz ohne religiöse Bindung (die die Eltern gelöst haben) auf.
(Wofür ich persönlich nicht eintrete: ich meine, lieber sollen Kinder religiös gebunden aufwachsen und sich später entscheiden, aus der Kirche auszutreten - andersherum ist es viel schwieriger, überhaupt in einer Religion Fuß zu fassen.)
Also, ich sehe den religiösen Halt nicht nur in der Schwäche, nicht dagegen aufbegehren zu können, sondern durchaus auch in der inneren religiösen Verwurzelung der Menschen, in deren Leben Gott viel präsenter war als heute. (Egal welche Religion man nun hernimmt.)
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> > Und natürlich ist die Verwaltung Kirche nicht getrennt von der Gesellschaft zu sehen: sie ist Teil von ihr. Übergeordnet ist das so, und wir können nicht darüber lamentieren, was "dort" geschieht, weil wir es selbst sind, die "geschehen".
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> Nein, wir lassen geschehen. Trägheit und Unwissenheit ändert auch nichts an dem status quo. Die Kirche zieht Steuern ein. Der einfachste Schritt, der Kirche Macht zu entziehen, ist, auszutreten - für jeden gangbar!
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Ja, aber warum geschieht es nicht? nur weil wir geschehen lassen? ist es nicht vielmehr, daß dem ein Wertewandel vorausging - es ist den Menschen einfach nicht wert, etwas für ihre religiöse Bindung zu tun? und warum? was ist an die Stelle der Religion getreten?
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> >Aber aus dem von Ismar angesprochenen Blickwinkel ist es durchaus so, daß die (speziell katholische) Kirche zementiert ist in ihren Strukturen, man betrachte nur das Frauenbild.
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> Darüber kann man sich nur dann aufregen, wenn man sich diesem unterordnet.
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man kann beobachten ... konstatieren ...
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> > Ich sehe dennoch, gerade aus der Geschichte heraus, den Aspekt des Verlustes der religio vorrangig vor allem anderen. Gerade weil du den II. WK ansprichst: Da geht es m.E. weniger um neue Erfindungen, sondern um das Vakuum der Armut, das in jener Zeit und noch danach herrschte, und den anschließenden Wirtschaftsaufschwung. Das Pendel schlug von der einen zur anderen Seite aus. Geistige Irritationen: natürlich - und die liegen eben gerade im Wertewandel: physischer Konsum statt geistiger Nahrung. Und noch sind wir nicht am Zenit angekommen - und die 68er-Generation ist heute im gesättigten Wohlstand verschwunden.
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> Es wird eine neue "68er" entstehen, die genau dies zum Thema hat - hoffe ich jedenfalls!
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mit dem gleichen Ausgang wie bei den 68ern, so vermute ich es zumindest ... Es gibt in fast jeder Generation die jungen Protestler - und wenn du schaust, wohin sind sie verschwunden? angepaßt, desillusioniert .. wohin haben sich ihre Ideale gewandelt?
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> > Die Kirche hat sich einer Öffnung verweigert, weil sie, in ihren Strukturen verhärtet, nicht auf den Menschen und seine Bewegung schaut, sondern auf sich selbst. Nicht einmal deutliche Anzeichen von Unzufriedenheit, wie sie die Plattform "Wir sind Kirche" (in Ö) äußert, nimmt sie als Anlaß wahr, über Änderungen auch nur nachzudenken. Aufgrund ihres Alters? nein, eher aufgrund ihrer inneren Anschauungen: sie glaubt, durch ihre Unveränderbarkeit eine besondere Position der Festigkeit einzunehmen und hofft, so den Menschen ein "Anker" zu sein.
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> - damit sie bestehen bleiben kann. Aber die Zeiten ändern sich wirklich. Die Kirche kommt nicht mehr umhin, sich zumindest mit dem Islam zu beschäftigen, weil nämlich die gesamte Gesellschaft dies tun muss.
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ich wage zu sagen: sie wird es als letzte von allen anderen tun. Ich meine dies nicht äußerlich, sondern in ihrer inneren Denkstruktur. Aber das ist auch nur meine Vermutung.
Die Zeiten ändern sich - wie sie sich immer ändern. Inwieweit die Gesellschaft, und die Religionen inklusive, sich den wandelnden Zeiten anpassen können, inwieweit es ihnen gelingen wird, sich den Menschen wieder zuzuwenden: das bleibt abzuwarten. Es liegt an der Gesellschaft als Ganze, in welchem Ausmaß sie es ermöglicht.
Liebe Grüße dir,
myrrhe

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