Re: Zu Hause sterben dürfen
myrrhe schrieb am 23. Juni 2004 um 20:13 Uhr (644x gelesen):
Liebe Kira,
gleich zwei Fälle in meinem Familienkreis dokumentieren die Notwendigkeit
des Umdenkens ... noch immer werden der Tod und seine Vorstufe, die starke
Pflegebedürftigkeit an die Peripherie verdrängt.
Meine Schwiegermutter fiel nach einem Herzinfarkt ins Wachkoma. Nach
Krankenhausaufenthalt (wo nichts zur Mobilisierung getan wurde) und
halbjährigem Aufenthalt in einem privaten Pflegeheim (in einem Wort.
entwürdigend!) nahm mein Schwiegervater sie zu sich nach Hause. Er war
alleinstehend, seine Kinder arbeiteten alle ... er mußte also Pflegehilfe in
Anspruch nehmen. Die stattliche Hilfe wurde nur stundenweise gewährt, was
für einen Apalliker nicht im Frage kommt - also sprang ein "Verein" ein, der,
damals knapp im legalen Bereich, slowakische Pfleger für ziemlich teures
Geld vermittelte. Mit Hilfe dieser Pfleger/innen konnte mein Schwiegervater
seine Frau noch zwei Jahre lang am Leben erhalten. Die Kosten waren
natürllch enorm ... auch was den Pflegebedarf (Sauerstoffflasche,
Absauggeräte, Magensonde und -kost, Matratze etc.) anging.
Der Staat mischte sich nicht weiter ein. Ohne die Hilfe dieses an der legalen
Grenze operierenden Vereins hätte meine Schwiegermutter ihr Leben im
Pflegeheim beschließen müssen: keine Frage.
Fall zwei betrifft meinen Mann ... er war schwer krebskrank, und wir kamen
im Rahmen eines Simonton-Seminars in Kontakt mit einem Psycho-
Onkologen, der als Arzt Mitglied des Mobilen Hospizes der Caritas war. Ihm
hatten wir es zu verdanken, daß er sich schon frühzeitig beim Mobilen Hospiz
anmeldete. Dort war ein Arzt für ihn zuständig, der sich jede Woche einmal
telefonisch bei ihm meldete, fragte, wie es ihm ging. Gleichzeitig meldete er
meinen Mann beim Stationären Caritas-Hospiz an: falls die Heimpflege
versagen würde, hätte mein Mann bevorzugt einen Platz dort bekommen
können.
Dann, als es meinem Mann zusehends schlechter ging, wurde der Kontakt
häufiger; der Arzt suchte uns auf, es kam auch eine für Patient und
Angehörige (!) zuständige Krankenschwester. Medikamente und später auch
Pflegezubehör (Windeln, Spritzen etc.) wurden gebracht. Der Arzt kam einmal
mitten in der Nacht, als mein Mann aus Schwäche aus dem Bett fiel und sich
verletzte dabei. Er setzte eine Spritze mit Schlauch, weil ich mich nicht
getraute, ihm eine Nadel hineinzustechen, um ihm Morphine zu geben. Ich
bekam Medikamente, Zubehör .... Und als ich verzweifelte, weil ich dachte, es
nicht allein zu schaffen, ihn bis zum Ende zu begleiten, erhielt ich Beistand,
Trost, Hilfe.
Mein Mann durfte daheim sterben. Dank der Caritas durfte ich ihm seinen
größten Wunsch erfüllen ...
Und das alles ohne irgendwelche Kosten .... und mal abgesehen von den
gewiß nicht billigen Medikamenten und dem Zubehör war es vor allem die
liebevolle Zuwendung von Ärzten und Pflegepersonal, die mir wertvoll waren
.... wie hätte ich all das geschafft ohne diese wunderbare Hilfe?
Die für uns zuständige Schwester rief mich im März dieses Jahres noch einmal
an, fragte mich, wie es mir ginge ... eineinhalb Jahre nach dem Tod meines
Mannes. Gibt es einen schöneren Beweis für die Größe des Beistandes, der
uns gewährt worden ist??
Ja, an der Hilfe für sterbende Menschen krankt es im System ... eben weil
Sterbende von der Gesellschaft bereits "ausgegliedert" werden. Aber wer
seinen Liebsten daheim sterben lassen möchte, dem werden die größten
Hürden auferlegt - gäbe es die Caritas nicht, jenen auf Spenden aufgebauten
Dienst der christlichen Kirche. (Deshalb sage ich auch immer: man kann nicht
über "die christliche Kirche" pauschalieren!)
(Das alles gilt natürlich jetzt für Ö - ich kenne die Verhältnisse in D nicht,
aber besser sind sie wohl kaum, was ich zwei Jahre zuvor erfahren habe, als
mein Vater im Sterben lag.)
Meinen Dank an die, die mir geholfen haben ....
alles Liebe,
myrrhe

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